Als ich ein kleines Kind war, wünschte ich mir immer eine große Schwester. Stattdessen wurde ich mit zwei älteren Brüdern gesegnet, die jede Gelegenheit nutzten, um mich zu ärgern, weil sie – erstens – zu zweit und älter waren und ich – zweitens – noch zu klein war, um mich zu wehren. Ich beneidete die Mädchen, die eine Schwester hatten, weil ich das Gefühl hatte, dass zwischen ihnen eine Beziehung bestand, die sie auf eine ganz besondere Weise miteinander verband.
Durch den Verlust meines nächstälteren Bruders blieb mir nur noch ein Bruder übrig. Entgegen meiner Hoffnungen schweißte uns das nicht enger zusammen, sondern das ganze Gegenteil trat ein. Die Tatsache, dass in unserer Mitte jemand fehlte, entzweite uns zusätzlich, schleichend und unaufhaltsam. Unser Bindeglied, was unsere Verbindung zueinander bisher aufrechterhielt, war nicht mehr da. Immer mehr wuchs ich in dem Gefühl auf, ein Einzelkind zu sein, was mich in meiner physischen Entwicklung nicht negativ beeinflusste, doch mir die Verbundenheit vorenthielt, die Geschwister oft auf irgendeine Art und Weise spüren.
In dieser Zeit trat ein Mensch in mein Leben, den ich anfangs als flüchtige Bekanntschaft, später als Freundin und schon längst als beste Freundin bezeichnen würde. Wir kennen uns schon so lange, dass sie für mich wie eine Schwester ist und ich mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen könnte. Die meiste Zeit davon waren wir räumlich weit voneinander entfernt und trotzdem haben wir uns gesehen, so oft es uns möglich war. Jeder von uns hat den anderen mit seinen Höhen und Tiefen erlebt und unterstützt, sobald Hilfe nötig war. Meinungsverschiedenheiten, die in einer guten Freundschaft sowohl erlaubt als auch gewollt sind, haben bei uns zu einem verständnisvolleren Umgang geführt und uns besser wissen lassen wie der andere tickt.
Durch unsere langjährige Freundschaft und die Erlebnisse des letzten Jahres haben sich meine Erwartungen an eine beste Freundin grundlegend geändert. Es ist mir nicht wichtig, ob beste Freundinnen jede freie Minute miteinander verbringen oder immer einer Meinung sind oder sich gegenseitig teure Geschenke machen. Vielmehr ist es doch ausschlaggebend für eine gute Freundschaft, ob ich mich wohl und verstanden fühle, dass ich so akzeptiert werde wie ich bin und sie mir die Sicherheit gibt, dass immer jemand für mich da ist. Gerade jetzt, wo meine Tage in Deutschland gezählt sind, wird mir bewusst wie wichtig sie für mich ist und dass unsere Freundschaft nicht selbstverständlich ist. Diese Gefühle – Glück, Verbundenheit, Freude und Zuneigung – die sich in mir wohlig warm ausbreiten, wenn wir zusammen sind, können mir kein Bruder der Welt geben.