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Montenegro

Der 5-Jahres-Plan

Heute ist der 26.05.2022 – Christi Himmelfahrt – zumindest in Deutschland, hier in Montenegro gibt es diesen Feiertag nicht. In Deutschland ist dieser Tag auch besser bekannt als Männertag. Im Allgemeinen ist es so üblich, dass die Männer sich in Gruppen zusammenfinden und gemeinsam einen Tag ohne Frauen verbringen. In den letzten Jahren haben wir an diesem Feiertag aber meistens als Familie zusammen irgendetwas Schönes unternommen. Und ich kann mich noch ganz genau an den Männertag 2021 erinnern. Das Wetter war eher kühl und regnerisch, trotzdem haben wir uns am frühen Nachmittag mit einer befreundeten Familie zum Grillen bei uns getroffen. Es war ein sehr schöner Tag, die Kinder haben miteinander gespielt, wir haben gelacht, viel geredet und Pläne für die kommenden Monate geschmiedet. Und keiner von uns hätte im Entferntesten gedacht, dass wir ein Jahr später nicht mehr dort wohnen werden, sondern in einem kleinen Land namens Montenegro. Unsere Pläne vor einem Jahr sahen definitiv anders aus. Mein Plan war es eigentlich, dort noch länger wohnen zu bleiben, die Vorteile von Freunde, Sprache und Komfort weiterhin genießen und immer noch glücklich meiner Arbeit nachgehen zu können. Doch dann kam alles ganz anders und vor allem völlig ungeplant – und wieder sehe ich, Langzeit-Planungen sind doch absoluter Bullshit! Zumindest in unserer Familie, wie die Erfahrungen aus den letzten 10 Jahre zeigen.

Im Jahr 2017, als ich wegen eines Bewerbungsgespräches in Lübeck war, hat mich mein zukünftiger Chef gefragt, wo ich mich in 5 Jahren sehe. Damals hatte ich ganz klare Vorstellungen und konnte ihm diese Frage ohne Probleme beantworten. Und wenn ich sehe, wo ich wirklich bin, denke ich mir, diese Frage sollte aus dem Bewerbungsfragenkatalog gänzlich gestrichen werden. Man kann Idealvorstellungen äußern, intensiv daraufhin arbeiten, alles dafür tun aber die Zielerreichung hängt letztendlich nicht nur von einem selbst ab. Denn in dieser jetzigen schnelllebigen Zeit kann doch keiner auch nur ahnen was nächsten Monat ist, geschweige denn in einem Jahr. Die Eckpunkte unseres Alltags können sich so schnell ändern, dass man in der Lage sein muss, ebenso schnell zu reagieren und notfalls sein ganzes Leben umzustellen – Langzeit-Pläne hin oder her. Es trifft sicher nur auf einige Menschen und Familien zu, auf jeden Fall auf uns – ob leider oder zum Glück wage ich im Moment nicht zu entscheiden.

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Woche 7

Mittlerweile leben wir fast 7 Wochen in Montenegro, wovon wir annähernd vier Wochen auf das Haus unserer deutschen Bekannten aufgepasst haben. Für uns alle waren diese vier Wochen eine sehr schöne und erholsame Zeit, trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Fürsorge der Tiere.

Mein Tief von vor 1,5 Wochen habe ich überwunden und so ein bisschen hat sich wieder ein „Alltag“ eingeschlichen, der sich wahrscheinlich ändern wird, wenn wir am Sonntag wieder zurück in unsere Wohnung nach Kotor ziehen.

Es ist morgens schon so warm, dass wir ohne Überlegungen kurze Hose und T-Shirt anziehen können – das ist das, was wir vor 10 Jahren in Vietnam schon mitgemacht haben und seitdem immer wieder wollten. Und jetzt haben wir es – schlechte Laune aufgrund von Regen werde ich wohl so schnell nicht wieder bekommen…

Vormittags machen wir mit den Kindern Home Schooling und nachmittags machen wir kurze Ausflüge (z. B. zum Baden an den Strand) oder bleiben zu Hause um Sachen zu machen worauf wir gerade Lust haben (z. B. eine extra Runde mit den Hunden drehen). Und ich bin erstaunt wieviel Zeit ich doch noch für mich selbst zur Verfügung habe – ich habe Zeit um Bücher zu lesen, zu backen, neue Rezepte auszuprobieren, zu schreiben, Serbisch zu lernen, zu joggen, … und es bleibt trotzdem immer noch viel Zeit für die Kinder übrig. Ich bin überwältigt wie lang doch ein Tag sein kann und wie bewusst ich ihn füllen und erleben kann. Diese Erfahrung hätte ich in Deutschland womöglich nie gemacht. Gerade deswegen bin ich für diese Erfahrung auch sehr dankbar und ich hoffe sehr, dass es nur eine von vielen sein wird, die ich in den nächsten Monaten noch sammeln werde.

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Ursachenforschung

Vor ca. drei Tagen hat mich eine komische Stimmung befallen. Ich würde sagen, auf mir liegt eine Art Melancholie. Sie kam einfach aus dem Nichts. Abends als ich ins Bett gegangen bin, war alles noch gut und als ich morgens aufwachte, war sie da, einfach so. Seitdem überlege ich wo sie herkommt und noch mehr grübele ich darüber nach wie ich sie wieder loswerde.

Ich hatte solche Stimmungseinbrüche auch schon öfter in Deutschland aber da wusste ich sofort wo sie herkamen, viele Möglichkeiten dafür gab es ja nicht. Meistens lag die Ursache darin, dass ich mich in den Tagen zuvor entweder physisch oder psychisch verausgabt habe und mein Körper mir dadurch signalisierte: „Hallo Jeannette, hier spricht dein Körper! Falls du es vergessen haben solltest, ich bin auch noch da und ich brauche jetzt eine Pause. Schalte mal einen Gang runter! Und fang am besten jetzt gleich damit an!“ An dem Tag, an dem ich dieses überdeutliche Signal erhalten hatte, lief dann bei mir auch gar nichts mehr. Ich hatte zu nichts Lust und konnte mich zu nichts aufraffen. Ich wollte niemanden sehen und wollte einfach nur meine Ruhe haben, und am besten auch allein sein. So gut ich konnte, ging ich dann diesen für mich überlebensnotwendigen Bedürfnissen nach und spätestens nach zwei Tagen war ich wieder ganz die Alte. Ich war wieder energiegeladen, hatte Lust was zu unternehmen oder rumzuwerkeln und konnte auch wieder lachen.

Dieses Mal sind die Symptome ähnlich aber doch irgendwie anders. Trotz allgemeiner Lustlosigkeit schaffe ich es dennoch, haushaltstypische Dinge zu erledigen oder spazieren zu gehen. Auch wenn ich mit den Kindern zusammen bin, ist es fast normal, nur dass ich eben ruhiger bin. Was mir aber wirklich Sorgen bereitet, ist diese tiefe Traurigkeit, die ich gerade empfinde. Diese dominierende Traurigkeit lässt mich gerade überhaupt kein bisschen Freude empfinden und legt mich in manchen Situationen völlig lahm.

Aber das geht doch nicht: Ich kann doch in einer der schönsten Gegenden der Welt nicht eines der schlimmsten Tiefs habe – das ist doch absolut paradox!!!

Und jetzt kommt die alles entscheidende Frage: Was ist die Ursache dafür???

Überarbeitung? Kann es nicht sein! Mein Körper konnte in den letzten Wochen wirklich seine Kräfte sparen. Außer ein paar Kilometer Joggen musste er keine außergewöhnlichen Anstrengungen vollbringen.

Langeweile? Glaube ich nicht! Das habe ich mir doch immer gewünscht. Deswegen wollte ich doch auch hierherkommen, damit ich endlich mal wieder Langeweile habe. Das hatte ich doch schon in meinem letzten Beitrag ausführlich thematisiert.  

Fehlende Struktur im Alltag? Eher unwahrscheinlich! Dadurch, dass wir mit den Kindern seit ein paar Wochen vormittags Schule machen, hat unser Alltag wieder mehr an Struktur gewonnen. Das finde ich auch wirklich gut.

Berufliche Perspektivlosigkeit? Könnte sein! Aber eigentlich sind wir doch hier im Urlaub, da muss ich doch nicht übers Geld verdienen nachdenken. Das kann ich doch immer noch machen, wenn die Zeit gekommen ist. Das Thema „Ansprüche“ hatte ich doch schon.

Zu wenig menschliche Kontakte? Auch das könnte sein. Ich bin gern mit Menschen zusammen und ich unterhalte mich auch gern. Das kam in den letzten Wochen auf jeden Fall zu kurz. Die Anzahl unserer deutschen Freunde kann ich an einer Hand abzählen und einheimische Freunde habe ich noch keine, weil es mir aufgrund fehlender Sprachkenntnisse nicht möglich ist, eine Unterhaltung zu führen.

Heimweh? Das könnte Ursache Nummer drei sein! Ich vermisse meine Eltern schon sehr. Üblicherweise war es bisher so, dass wir uns mindestens einmal im Monat gesehen haben. Manchmal hat es nicht geklappt, aber manchmal hingegen sahen wir uns auch öfter. Und wenn ich zurückrechne, ist es am heutigen Tag über fünf Wochen her, dass wir uns zum letzten Mal gesehen haben. Telefonieren, auch wenn es Videotelefonie ist, ist definitiv kein adäquater Ersatz für ein Wiedersehen – was nicht nur für meine Eltern gilt, sondern auch für meine zurückgelassenen Freunde. Nichts kann ein persönliches Treffen ersetzen, gar nichts.

Und was mache ich jetzt??? Welche mögliche Ursache soll ich zuerst bekämpfen und vor allem wie? Sollte ich jetzt alle mir verbliebenen Kräfte sammeln und in die Offensive gehen oder lieber abwarten, in der Hoffnung, dass die Melancholie so geht wie sie gekommen ist – plötzlich und von ganz allein? Ehrlich gesagt, bin ich gerade ratlos…

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Das Hamsterrad in meinem Kopf

Ab dem Zeitpunkt als unsere Tochter Annabelle geboren wurde, wurde das Wort „Langeweile“ automatisch und ohne jegliches Zutun aus meinem persönlichen Wortschatz gestrichen, ganz einfach so, von einer Minute auf die nächste. Ich kann mich nicht daran erinnern wann ich das letzte Mal Langeweile hatte. Ich meine nicht diese Art von überschüssiger Zeit, die beim Warten entsteht oder die Zeitspanne zwischen zwei Aktivitäten, wenn die eine Sache noch nicht fertig ist und die andere noch nicht begonnen werden kann. Nein, ich meine wirklich und wahrhaftig bewusst erlebte Langeweile.

Denn wenn ich die letzten Jahre Revue passieren lasse, erinnere ich mich an keinen Tag, der nicht durchgetaktet war. Wir hatten unsere To-Do´s, die abgehakt werden mussten und unsere routinierten Abläufe, die uns dabei halfen. Freie Zeit gab es kaum und wenn, dann habe ich versucht, auch diese vollständig auszufüllen, damit ich sie ja nicht ungenutzt lasse oder gar verschwende. Im Grunde genommen lag meine tägliche Hauptaufgabe darin, zu planen, zu organisieren und mein Zeitmanagement zu optimieren unter zu Hilfenahme vorhandener Ressourcen und Werkzeuge. Wichtig dabei war, für alle Vorhaben möglichst einen Plan B in der Tasche zu haben falls Plan A scheiterte. Warten war für mich die Hölle, denn Zeit war für mich das höchste Gut und durch nichts zu ersetzen oder wieder gut zu machen. Kein Wunder also, dass ich den Tag als solches nie wirklich bewusst erlebt habe, vom Genießen war ich Lichtjahre entfernt. Ich empfand den Alltag oft nur noch als anstrengend. Dass ich mich bildlich gesehen in einem Hamsterrad befand und mir dieses alles andere als guttat, habe ich in den letzten beiden Jahren erst so richtig wahrgenommen. Klar habe ich an der einen oder anderen Stellschraube gedreht, um das Rad für mich angenehmer oder langsamer zu machen, aber ich war trotzdem immer noch Teil dieses und alles andere als glücklich.

Nun bin ich seit über vier Wochen in Montenegro und es ist erstaunlich, dass ich mit dem Wegzug aus Deutschland zwar aus dem Alltagskarussell aussteigen konnte, aber trotzdem das Hamsterrad in meinem Kopf bis jetzt immer noch nicht losgeworden bin. Ich befinde mich immer noch in dem Modus, meine vorhandene Zeit optimal ausnutzen zu wollen und meinen Tag von der Uhr bestimmen zu lassen. Es erschreckt mich, dass ich mich nicht einfach mal hinsetzen kann um die Aussicht zu genießen oder einen Moment bewusst zu erleben. Und ich fühle ich unwohl, wenn Langeweile aufkommt, weil ich mit ihr nicht umgehen kann. Ich merke, dass viele Jahre im Hamsterrad nicht in wenigen Wochen abzuschütteln sind und muss mir wohl eingestehen, dass ich diesbezüglich geduldiger mit mir sein muss und mir bis zum endgültigen Ausstieg aus dem Hamsterrad wohl leider nur das Abwarten bleibt.