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Mein stummer Begleiter

In den letzten Jahrzehnten war ich recht erfolgreich darin, den Tod auf Abstand zu halten. Nachdem er mir vor gut 30 Jahren so übel mitgespielt hatte, wusste er, dass mit mir nicht gut Kirschen essen ist und hat sich ferngehalten. Außer in ein paar Momenten, in denen er sich in meinem Umfeld gezeigt hat, habe ich wenig von ihm mitbekommen.

Dann begann ich letztes Jahr mit der Hospizbegleiter-Ausbildung und bekomme im Nachhinein so langsam das Gefühl, dass es für ihn der Augenblick war, sich wieder in mein Leben zu schleichen. Nicht auf brutale Art, indem er mir mal wieder geliebte Menschen ganz plötzlich entreißt – eher auf die leise Weise, gewissermaßen durch die Hintertür. Sodass ich ihn nicht sehe, aber weiß, dass er da ist. Irgendwie werde ich ihn nicht mehr los.

Vor ein paar Wochen habe ich einen Zweitjob in einem Bestattungshaus angenommen und kümmere mich seitdem hauptsächlich um das Versenden von Traueranzeigen und Danksagungen. Somit ist der Tod bei mir auf dem Computerbildschirm fast jeden Tag präsent.

Dann gab es vor kurzem einen Trauerfall in unserer Familie und ich war seit langer Zeit wieder auf einer Beerdigung. Irgendwie war ich emotional gar nicht so stark betroffen, wie ich befürchtete. Vielleicht lag es an der Tatsache, dass ich keine direkte Verwandte war. Vielleicht lag es aber auch daran, dass es mir mittlerweile leichter fällt, mit einem Verlust umzugehen.

Ungefähr vor zwei Wochen habe ich zusätzlich meine erste Begleitung bekommen. Vor dem Tag hatte ich mich ziemlich gefürchtet, aber irgendwann musste es ja passieren – dafür habe ich ja schließlich auch die entsprechende Ausbildung gemacht. Nur wenn ich eine Begleitung annehme, kann ich auch wissen, ob ich die Sache von Anfang bis zum Schluss durchstehen kann. Ohne Praxis ist die Theorie nicht viel wert.

Es handelt sich um eine ältere Dame, die vor ein paar Jahren eine Krebsdiagnose bekommen hat und bisher gut allein zurechtkam. Nun hatte sich ihr Gesundheitszustand aber so verschlechtert, dass sie in ein Heim gehen musste und ihr jetzt nichts anderes übrigbleibt, als auf ihr Lebensende zu warten. Diese Wartezeit möchte ich ihr ein wenig verschönern, indem ich sie einmal pro Woche besuche und ihr meine Zeit und Aufmerksamkeit schenke.

Im Moment ist das alles überhaupt gar kein Problem für mich. Die Dame ist sehr nett, noch sehr klar im Kopf und es ist sehr einfach, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Wir reden viel, wir lachen auch und das Sterben scheint noch so weit weg.

Dann habe ich vor ein paar Tagen rein zufällig eine Dokumentation über einen jungen Mann gesehen, der mitten im Leben steht, viele Freunde hat und dann zum dritten Mal an Krebs erkrankt. Dieser Film zeigt seine letzten Monate – von der aussichtslosen Krebsdiagnose bis zu seinem Tod – und wie er dabei zum Glauben an Gott findet. Der Film war richtig krass und berührt mich immer noch sehr.

Diese ganzen Begegnungen mit dem Tod und seine momentane Allgegenwärtigkeit macht was mit mir. Ich merke, wie es in mir arbeitet und meine Sicht auf die Dinge verändert. Ich denke viel darüber nach, auch über meinen eigenen Tod, und komme wieder zu der Frage, was der Sinn des Lebens ist.

Ich frage mich, was das Leben eigentlich ausmacht, was wirklich zählt und was übrigbleibt, wenn man nicht mehr da ist.

Wie kann ich den Wirkungsgrad meines Lebens erhöhen?

Um am Ende sagen zu können: Ich habe vielleicht nicht viel geschafft, aber das, was ich geschafft habe, hat Substanz und ich kann mit Stolz behaupten, dass sich mein Leben gelohnt hat und ich es sinnvoll genutzt habe.

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