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Allgemeines

Mein stummer Begleiter

In den letzten Jahrzehnten war ich recht erfolgreich darin, den Tod auf Abstand zu halten. Nachdem er mir vor gut 30 Jahren so übel mitgespielt hatte, wusste er, dass mit mir nicht gut Kirschen essen ist und hat sich ferngehalten. Außer in ein paar Momenten, in denen er sich in meinem Umfeld gezeigt hat, habe ich wenig von ihm mitbekommen.

Dann begann ich letztes Jahr mit der Hospizbegleiter-Ausbildung und bekomme im Nachhinein so langsam das Gefühl, dass es für ihn der Augenblick war, sich wieder in mein Leben zu schleichen. Nicht auf brutale Art, indem er mir mal wieder geliebte Menschen ganz plötzlich entreißt – eher auf die leise Weise, gewissermaßen durch die Hintertür. Sodass ich ihn nicht sehe, aber weiß, dass er da ist. Irgendwie werde ich ihn nicht mehr los.

Vor ein paar Wochen habe ich einen Zweitjob in einem Bestattungshaus angenommen und kümmere mich seitdem hauptsächlich um das Versenden von Traueranzeigen und Danksagungen. Somit ist der Tod bei mir auf dem Computerbildschirm fast jeden Tag präsent.

Dann gab es vor kurzem einen Trauerfall in unserer Familie und ich war seit langer Zeit wieder auf einer Beerdigung. Irgendwie war ich emotional gar nicht so stark betroffen, wie ich befürchtete. Vielleicht lag es an der Tatsache, dass ich keine direkte Verwandte war. Vielleicht lag es aber auch daran, dass es mir mittlerweile leichter fällt, mit einem Verlust umzugehen.

Ungefähr vor zwei Wochen habe ich zusätzlich meine erste Begleitung bekommen. Vor dem Tag hatte ich mich ziemlich gefürchtet, aber irgendwann musste es ja passieren – dafür habe ich ja schließlich auch die entsprechende Ausbildung gemacht. Nur wenn ich eine Begleitung annehme, kann ich auch wissen, ob ich die Sache von Anfang bis zum Schluss durchstehen kann. Ohne Praxis ist die Theorie nicht viel wert.

Es handelt sich um eine ältere Dame, die vor ein paar Jahren eine Krebsdiagnose bekommen hat und bisher gut allein zurechtkam. Nun hatte sich ihr Gesundheitszustand aber so verschlechtert, dass sie in ein Heim gehen musste und ihr jetzt nichts anderes übrigbleibt, als auf ihr Lebensende zu warten. Diese Wartezeit möchte ich ihr ein wenig verschönern, indem ich sie einmal pro Woche besuche und ihr meine Zeit und Aufmerksamkeit schenke.

Im Moment ist das alles überhaupt gar kein Problem für mich. Die Dame ist sehr nett, noch sehr klar im Kopf und es ist sehr einfach, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Wir reden viel, wir lachen auch und das Sterben scheint noch so weit weg.

Dann habe ich vor ein paar Tagen rein zufällig eine Dokumentation über einen jungen Mann gesehen, der mitten im Leben steht, viele Freunde hat und dann zum dritten Mal an Krebs erkrankt. Dieser Film zeigt seine letzten Monate – von der aussichtslosen Krebsdiagnose bis zu seinem Tod – und wie er dabei zum Glauben an Gott findet. Der Film war richtig krass und berührt mich immer noch sehr.

Diese ganzen Begegnungen mit dem Tod und seine momentane Allgegenwärtigkeit macht was mit mir. Ich merke, wie es in mir arbeitet und meine Sicht auf die Dinge verändert. Ich denke viel darüber nach, auch über meinen eigenen Tod, und komme wieder zu der Frage, was der Sinn des Lebens ist.

Ich frage mich, was das Leben eigentlich ausmacht, was wirklich zählt und was übrigbleibt, wenn man nicht mehr da ist.

Wie kann ich den Wirkungsgrad meines Lebens erhöhen?

Um am Ende sagen zu können: Ich habe vielleicht nicht viel geschafft, aber das, was ich geschafft habe, hat Substanz und ich kann mit Stolz behaupten, dass sich mein Leben gelohnt hat und ich es sinnvoll genutzt habe.

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Sehnsucht

„Die Sehnsucht ist mein Steuermann“

„Endstation Sehnsucht“

„Wo die Sehnsucht schimmert“

Alles handelt vom gleichen Thema. Der Markt ist voll von Liedern, Filmen und Büchern, in denen sich jemand nach etwas oder jemand anderen sehnt.

Momentan erwischt mich auch ab und zu mal eine Sehnsucht. Dabei ist es jedoch nicht der Wunsch, etwas zu besitzen, was ich nicht habe – so wie früher – sondern es ist eher so eine Art Vermissen.

Früher sehnte ich mich nach Dingen, die andere bereits hatten. Ich wollte ein großes Haus, ein dickes Gehalt und einen vollen Kleiderschrank. Heute nicht mehr. Will ich nicht, brauch’ ich nicht, ist mir egal – andere Dinge, nicht-materielle Dinge sind mir heute viel wichtiger.   

Nein. Dieses Mal ist es wirklich eine Sehnsucht. Manchmal ist sie so stark, dass es weh tut.

Ich sehne mich nach meinem alten Beruf zurück. Danach, wieder als Chemieingenieurin im Labor zu stehen, mit Chemikalien zu hantieren, Analysengeräte aus dem Effeff bedienen zu können und über chemische Formeln zu grübeln. Das habe ich 15 Jahre lang gemacht und diese Arbeit hat mir (fast) immer Spaß gemacht, da war ich gut drin. 15 Jahre war das Labor mein zweites Zuhause, da fühlte ich mich sicher.

Oktober 2017: Beginn meiner neuen Arbeitsstelle in Lübeck. Damals war es mein absoluter Traumjob. Die Arbeit war anspruchsvoll, abwechslungsreich und ich hatte einen tollen Chef und super nette Kollegen. Wir waren wie eine kleine Familie. Und was haben wir zusammen gelacht während der Arbeit! Noch nie hatte ich so viel Spaß beim Arbeiten. Alles stimmte, alles war perfekt … zumindest für 2,5 Jahre.

Aber Perfektion ist trügerisch! Natürlich war es nicht perfekt. Natürlich gab es auch unschöne Zeiten, aber die vergisst man ganz schnell, wenn man in Erinnerungen schwelgt – so wie ich jetzt auch. Es gab Gründe, warum ich mich seit 2021 dort nicht mehr wohlgefühlt habe und warum mir dann das Auswandern 2022 so leichtfiel.

Dennoch sehne ich mich manchmal danach – nach der „guten alten Zeit“, nach dem Lachen mit Kollegen, nach der Sicherheit in meinem Job, nach der Gewissheit gut zu sein, indem, was ich tue. Gleichzeitig packt mich auch ein schlechtes Gewissen, weil ich endlich wieder zu Hause bin und trotzdem eine Sehnsucht spüre.

Spüren wir aber nicht alle dann und wann eine Sehnsucht in uns? Der eine möchte eine neue Herausforderung im Job, der andere möchte endlich wieder als Frau wahrgenommen werden und manche sehnen sich einfach nur nach Ruhe, Aufmerksamkeit oder Liebe.

Meine Sehnsucht behalte ich für mich und versuche, sie mit Argumenten auszubremsen. Denn ihr nachzugehen würde bedeuten, dass ich eine Menge Vorteile verliere, die ich im Moment so schätze. Also erzähle ich sie, wenn überhaupt, dem Papier, denn Papier ist ja bekanntermaßen geduldig. Und ich rufe mir in Erinnerung, dass alles seine Zeit hat, alles im Fluss und nichts für immer ist. Wer weiß, was alles noch kommt …

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Und jährlich grüßt der Neuanfang

Da wären wir wieder: am zweiten Januar eines neuen Jahres – in diesem Fall dem Schaltjahr 2024. Zwei Tage davon sind bereits gelebt und 364 Tage voller Ungewissheit liegen noch vor uns und schon jetzt hat sicher jeder Einzelne von uns mehr oder minder viele Vorsätze im Kopf, womit er diese Tage füllen will. Und weil wir gerade am Anfang sind, arbeitet noch jeder euphorisch und auf Hochtouren an deren Umsetzung.

Ich habe eigentlich nur einen Vorsatz: alles, bloß keine Langeweile. Dieses Jahr will ich was erleben. Ich will Ausflüge, Abwechslung und Abenteuer. Ich will das Jahr zu 100 % auskosten.

Diese Angst, das vor mir liegende Jahr könnte stupide, langweilig und routiniert ablaufen, erfasst mich scheinbar regelmäßig und lässt mich jetzt wieder nachdenklich in die Zukunft blicken. Dabei sollte mich das letzte Jahre doch eines Besseren belehren.

Dachte ich am 01. Januar 2023 doch noch, die Monate, die vor mir liegen, werden weniger aufregend als die, die damals hinter mir lagen. Bis April war das auch so, aber dann kam ja meine „Lehrerkarriere“. Diese dauerte leider nur 5 Monate, bot mir aber so viel Abwechslung, Erfahrungen und mentales Wachstum, dass es locker fürs komplette Jahr gereicht hätte.

Meinen Vorsatz vom 01. Januar 2023: Mehr „Das-wollte-ich-schon-immer-mal-machen“ – habe ich auch gut in dem vergangenen Jahr eingebaut. Hospizbegleiterin wollte ich immer schon mal werden und bin es auch geworden. Jumping-Trainerin wollte ich immer schon mal werden und bin es auch geworden. Weit weg von Langeweile und Routine trugen auch diese Ausbildungen dazu bei, dass ich über mich hinausgewachsen bin, Ängste abschütteln konnte und neue tolle Menschen kennengelernt habe.

In diesem Zusammenhang hat der Spruch „Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.“ doch eine zuversichtliche und realitätsnahe Message, oder?! Das im Hinterkopf könnte mich eigentlich schon ein wenig beruhigen. Weil ich mich darauf natürlich nicht ausruhen will und kann, arbeite ich intensiv daran, meinen Endgegner „die Langeweile“ und seinen Kumpanen den „tristen Alltag“ in die Flucht zu schlagen, in dem ich zu jedem noch so kleinen Abenteuer JA sage und jede noch so kleine Möglichkeit nutze, etwas Neues zu erleben.

Mal sehen, ob diese Taktik aufgeht. Wissen tu ich es ja erst in einem Jahr, bin aber jetzt schon gespannt, was die nächsten 12 Monaten für mich bereithalten.  

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Der verblasste Glanz der Weihnacht

Es war einmal ein junges Mädchen. Für sie war die Weihnachtszeit die schönste Zeit des Jahres. Sie verband mit diesem Fest so viele wundervolle Kindheitserinnerungen, dass sie sich in ihrem jetzigen jugendlichen Alter immer noch das ganze Jahr über auf den Dezember freute.

Sie liebte die vielen Lichter, die im Advent extra für diesen Anlass angezündet wurden. Sie liebte das Plätzchen backen, das weihnachtliche Schmücken im Haus und auf den Straßen, die Düfte auf den Weihnachtsmärkten, die Weihnachtslieder, die überall gespielt und gesungen wurden – sie liebte einfach alles, was mit Weihnachten zu tun hatte.

Das Mädchen wurde älter, wuchs zur Frau heran und wurde Mutter – trug den Zauber der Weihnacht aber stets bei sich und gab ihn liebevoll an ihre Kinder weiter. Doch eines Tages merkte sie – eher beiläufig – dass der Glanz, den sie mit dem Weihnachtsfest verband, langsam verblasste und immer schwächer wurde.

Der Lichterschein im Advent war alltäglich geworden, für das weihnachtliche Schmücken fehlte ihr die Zeit und Plätzchen backen war zu einer lästigen Zeitverschwendung geworden, die statt Spaß nur noch Arbeit machte. Es war ihr nicht mehr möglich, die Vorweihnachtszeit zu genießen und während andere sich auf das Weihnachtsfest freuten, blieb bei ihr die Weihnachtsstimmung gänzlich aus.

Der Dezember hatte sich im Laufe der Jahre für sie vom schönsten Monat zum unbeliebtesten gewandelt. Dies wurde ihr schlagartig bewusst, als der ganze Weihnachtszirkus endlich zum Erliegen kam und das Jahr sich dem Ende neigte.

Diese plötzliche Erkenntnis machte sie unheimlich traurig und sie beschloss, etwas dagegen zu tun. Sie wollte nicht, dass das Licht der zukünftigen Weihnacht in ihr ganz erlosch. Sie begab sich deshalb auf eine Reise, in der Hoffnung, eine Möglichkeit zu finden, den Zauber der Weihnacht in ihrem Herzen wieder neu zu entfachen.

Das Mädchen ging los und traf zuerst auf die Sonne. Es erzählte ihr, was sie hierherführte und bat die Sonne um Hilfe. Doch die Sonne wusste keinen Rat und sagte nur, sie solle zu den Sternen gehen. Diese seien überall, hätten alles schon gesehen und könnten dem Mädchen sicher helfen.  

Sie ging weiter und kam zu den Sternen. Auch hier bat das Mädchen um Hilfe und fragte die Sterne, wie sie den Glanz der Weihnacht wiederbekommen könne. Trotz ihrer Weisheit konnten sie dem Mädchen aber nicht weiterhelfen und verwiesen sie an den Mond. Dieser war von allen der älteste und weiseste Himmelskörper und wisse sicher Rat.

Das Mädchen ging also weiter und gelangte nach einer erneuten langen Wanderung endlich zum Mond. Sie schilderte ihr Problem und bat ihn inständig um Hilfe. Der Mond war sehr überrascht, denn es war nicht üblich, dass ein Erdenkind zu ihm kam und Rat von ihm benötigte. Er überlegte lange, denn diese Situation war auch für ihn neu und er wollte dem Mädchen unbedingt helfen.

Dann wandte sich der Mond zu dem Mädchen, sprach zu ihr und wählte seine Worte dabei weise: „Du hast eine lange und beschwerliche Reise hinter dir. Du warst bei der Sonne, bei den Sternen und bist letztendlich zu mir gekommen. Aber warum hast du das alles auf dich genommen? Du brauchst von niemandem einen Rat. Tief in dir drin weißt du bereits die Antworten, die du suchst.“

Das Mädchen stutzte und fragte den Mond, was er damit meinte. Der Mond sprach weiter:

„Zugegeben, das Licht der Weihnacht, das in deinem Herzen leuchtet, ist vielleicht schwach, aber es ist immer noch da. Und solange es noch nicht erloschen ist, kann es wieder neu entfacht werden. Aber das kannst nur du allein, niemand sonst kann dir dabei helfen. Es liegt allein in deiner Hand, ob das noch vorhandene Licht erlischt oder wieder aufflackert. Du hast die Erinnerungen der alten Weihnacht, lerne aus der jetzigen Weihnacht und du wirst die zukünftige Weihnacht wieder zum Leuchten bringen. Vertraue mir. Aber vor allem vertraue dir und deiner innerlichen Stärke.“

Das Mädchen hatte mit dieser Erklärung des Mondes nicht gerechnet und war frustriert. Wollte sie doch eine eindeutige und einfache Lösung des Problems. Nun aber war sie so schlau wie am Anfang ihrer Reise.

Mit dem Rat des Mondes im Gepäck trat sie die Rückreise an. Dabei hatte sie viel Zeit über die Worte des Mondes nachzudenken und allmählich keimte in ihr neuer Mut und neue Hoffnung auf. Sie wolle alles daransetzen, das Licht in ihr wieder strahlen zu lassen, sodass sie für die zukünftige Weihnacht das fühlen kann, was sie früher gefühlt hat.

Als das Mädchen von ihrer langen Reise wieder zu Hause ankam, war es bereits Herbst und der Dezember stand vor der Tür. Jetzt war es an ihr, der zukünftigen Weihnacht zu neuem Glanz zu verhelfen.

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Feiern statt trauern

Es ist November. Und der November ist mein absoluter Hass-Monat. Wettertechnisch ist dieser Monat durchzogen von Regen, Kälte und der Farbe Grau – nicht jeden Tag, aber oft. Für meine Verhältnisse viel zu oft.

Dann hält der November viele Tage bereit, die meinetwegen auch aus dem Kalender gestrichen werden könnten. Angefangen mit dem Geburtstag meines mir noch verbliebenen Bruders. Auf dem Papier ist er mit mir blutsverwandt, aber meiner Definition eines Bruders entspricht er schon seit mindestens 20 Jahren nicht mehr. Ich vermute, das stößt auf Gegenseitigkeit, denn zwischen uns herrscht schon seit über 10 Jahren Funkstille.

Danach kommt dann der 15.11. Und das ist der schlimmste Tag im Jahr, weil sich an diesem Tag der Unfall meines Bruders Thomas jährt. An diesem Tag steht meine Welt bedrückend still. Ich weiß nichts mit mir anzufangen und versuche, diesen Tag irgendwie zu überstehen. Ich denke dann oft an den 15.11.1994 zurück und wie mein Leben seitdem verlaufen ist.

Trauer wird in mehreren Phasen eingeteilt. Ich lehne mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster hinaus und behaupte, ich bin endlich in der letzten Phase angekommen: Akzeptanz. Ob das wirklich so ist, kann mir wahrscheinlich nur ein Psychiater sagen. Aber sei es drum … viele Jahre war ich wütend (2. Phase der Trauer), wahrscheinlich ohne es zu merken. Bis es mir jemand mal auf den Kopf drauf zugesagt hat. Und ja, wenn mir jemand meinen geliebten Bruder wegnimmt, ohne dass ich mich von ihm verabschieden kann, habe ich ja wohl allen Grund dazu, wütend zu sein – auf mich, auf die anderen, auf die ganze Welt.  

Jetzt schaffe ich es endlich, diesen Verlust zu akzeptieren – glaube ich. Ich weiß, ich konnte es damals nicht verhindern und ich kann es jetzt nicht mehr ändern. Und diese Tatsache musste lange Wege gehen, bis sie in meinem Kopf angekommen ist. Mittlerweile habe ich Mittel und Wege gefunden, besser damit umzugehen. 

Ende November kommt dann noch der Totensonntag oder auch Ewigkeitssonntag genannt. Dieser Tag ist den Toten gewidmet und jeder sollte ihnen an diesem Tag gedenken. Ich halte von diesem Tag gar nichts, weil er hierzulande immer gediegen abläuft … still, in Andacht, in Trauer. Und das gefällt mir nicht. Früher dachte ich, das sei der einzige Weg, sich an die Toten respektvoll zu erinnern. Aber es geht auch anders, wie mir auf banaler Weise ein Animationsfilm gezeigt hat.

Der Walt Disney Film „Coco“ greift das Thema „Tod“ auf und macht es seinen Zuschauern auf lustige und lebensbejahende Weise zugänglich. Die Geschichte spielt in Mexiko und zeigt die mexikanischen Traditionen rund um den „Dia de los Muertos“ – der Tag der Toten, der jedes Jahr am 02.11. gefeiert wird. Diesen Tag verbringen die Mexikaner nicht etwa allein und leise zu Hause. Nein, sie feiern ihn. Sie feiern ihn laut und bunt und ausgelassen. Die Vorbereitungen dafür laufen schon Tage vorher an.

Sie stellen Ofrendas – so eine Art Altäre – auf, die reichlich geschmückt sind mit Blumen, Kerzen, Essen, Andenken und Bildern der Verstorbenen. Für die Mexikaner sind die Verstorbenen immer noch Mitglieder ihrer Gemeinschaft, die durch die Erinnerungen an sie am Leben gehalten werden.

In der Nacht vom 2.11. auf den 3.11. haben die Toten die Möglichkeit, als Geister ins Reich der Lebenden einzutreten. Dafür müssen sie über eine Brücke gehen, die das Reich der Toten mit unserer Welt verbindet.

So stelle ich mir eine richtige Gedenkfeier für die Toten vor – Feiern statt trauern. Das wäre doch mal was anderes. Warum müssen wir auch ständig traurig sein? Wir könnten doch stattdessen das gelebte Leben unserer Freunde und Verwandte feiern?!

Bisher habe ich nur Tränen vergossen, weil mein Bruder nicht mehr da ist. Aber gefeiert, dass er überhaupt da war, dass wir viele schöne Momente zusammen verbracht haben und dass er ein kurzes, aber glückliches Leben gelebt hat – das habe ich noch nie.

Ich will nicht mehr traurig sein. Traurig sein bringt mir meinen Bruder auch nicht mehr zurück. Feiern bringt ihn mir auch nicht zurück, aber würde ihn angemessen in Erinnerung halten. Und mir den Verlust und das Leben erleichtern.

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Auf dem Weg zur besten Version

Mittlerweile ist es Oktober und es ist bei mir deutlich ruhiger geworden. Der September ist vorbei – der erste Monat in meinem „alten“ Job und ohne Lehrerin zu sein. Es war auch der erste Monat, in dem ich wieder regelmäßig Sport getrieben habe, meine Wochenenden und meine Freizeit selbst bestimmen konnte und mehr Zeit mit meiner Familie verbracht habe. Resultierend daraus: Unser familiäres Miteinander ist viel herzlicher geworden, ich bin weniger gestresst, schlafe die Nächte wieder durch und komme auch innerlich so langsam zur Ruhe. Es schleicht sich ein neuer Alltag ein, der deutlich entspannter verläuft, den ich bewusster wahrnehme und der nicht mehr so an mir vorbeirast. Neben den Verpflichtungen bleibt sogar noch Zeit, meine To-do-Liste abzuarbeiten und mich meinen persönlichen Vorhaben zu widmen. Das ist so wunderbar.

Meine Arbeit im Home-Office läuft erstaunlicherweise recht gut. Ich habe mir ein angemessenes Büro eingerichtet, das mit einem professionellen Schreibtisch ausgestattet ist. Das Beste an meinem neuen Büro ist: Es befindet sich nicht zu Hause. Auch wenn ich nur ein paar Kilometer zu meinem Arbeitsplatz fahre – ein weiterer Pluspunkt! – habe ich eine klare räumliche Trennung zwischen Arbeit und Zuhause – und das macht alles so viel angenehmer. Ich kann mich besser konzentrieren, meine Arbeitszeit effektiver gestalten und die Aufgaben disziplinierter erledigen.

Momentan würde ich sagen, bin ich auf einem guten Weg.

Wie ich durch ein internes Projekt erst neulich gelernt habe, gehen Naturheilkundler davon aus, dass der Mensch eine Einheit aus seiner Seele, seinem Geist und seinem Körper darstellt und dass er nur ein glückliches Leben führen kann, wenn alle drei Teile optimal funktionieren und sich im Gleichgewicht befinden.

Rückblickend war es anscheinend bei mir die letzten Jahre nicht der Fall. Denn 2016 kam ich an einen Punkt, an dem mir unter Tränen eine Sache bewusst geworden ist: faktisch gesehen habe ich alles, was man sich wünschen kann, aber trotzdem bin ich nicht glücklich. Und diese Tatsache hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen, weil ich mir diesen Zustand nicht erklären konnte und ich mich selbst der Undankbarkeit bezichtigt habe.

Zu dem Zeitpunkt besaßen wir ein Haus, hatten beide gut bezahlte Jobs und unsere Kinder wuchsen gesund heran. Zugegeben unser Alltag war sehr stressig, weil wir beide Vollzeit arbeiteten, die Kinder recht klein waren und Zweisamkeit weit hinten stand, aber das schien für uns normal zu sein. Wie konnte denn das also sein, dass ich nicht glücklich war? Ich hatte doch alles.

Dieses stetig schwelende Gefühl, dass ich anscheinend nie zufrieden sein konnte mit dem, was ich hatte und wohl immer einen Grund zum Unglücklichsein suchte, zerrte an mir und meinem Selbstwertgefühl und machte mich schwach. Und damit drehte sich die Abwärtsspirale weiter und weiter.

Mit meinem heutigen Wissen wäre ich den Gründen damals vielleicht auf die Spur gekommen und hätte versucht, herauszufinden, welcher Teil von mir „hakt“ und somit die anderen beiden Teile in Mitleidenschaft zieht. Vielleicht wäre es mir damals auch geglückt, das „defekte“ Drittel wieder ins Lot zu bringen.  

Heute ist alles anders. Heute fühle ich mich stärker. Ich weiß nicht, warum und kann es demnach auch an keinen konkreten Punkt festmachen. Vielleicht war es der Umzug in meine alte Heimat und damit das Zurückkommen zu meinen Wurzeln. Vielleicht war es das Ablegen meines schlechten Gewissens, dass ich mir unbewusst einredete, weil meine Eltern allein waren und ich nicht genügend für sie da sein konnte. Vielleicht war es das Preisgeben meiner jahrelang versteckten Trauer und der offene Umgang damit. Vielleicht war es der Lehrerjob, der mir zeigte, dass ich in etwas gut sein kann, was ich mir früher nie zugetraut hätte. Vielleicht war es die Einsicht, jeden Menschen so zu nehmen, wie er ist, ihm vorurteilslos gegenüberzutreten, sodass mir mit dieser Einstellung durchweg Freundlichkeit entgegengebracht wurde. Vielleicht ist es auch das momentane Gefühl, für meine Kinder endlich genug da zu sein. Ich weiß es nicht. Ich vermute, es ist das Zusammenspiel aller Vielleichts. Das Wichtigste daran ist, dass ich im Moment geistig so gestärkt bin, wie ich es schon lange nicht mehr oder vielleicht sogar noch nie war.

Ich hoffe, dieser Zustand bleibt und hilft mir, die beiden anderen Teile miteinander in Einklang zu bringen. Als Nächstes ist mein Körper dran. Ich arbeite jetzt wieder intensiv daran, dass auch dieses zweite Drittel gestärkt wird. Zum Schluss – und das wird wohl die schwierigste Aufgabe – nehme ich dann mein seelisches Befinden in Angriff. Mein Ziel ist es, alle Teile von mir endlich ins Gleichgewicht zu bringen und ich von mir dann die beste (und glücklichste) Version erleben darf. 

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Herz vs. Kopf

Es scheint verlockend zu sein, die Augen zu schließen und dann zu denken, das Problem sei gelöst, nur weil man es nicht mehr sieht.

Ich musste in den Ferien der Wahrheit ins Auge blicken und mir eingestehen, dass es nicht mehr funktioniert, zwei Jobs gleichzeitig zu machen. Es frustrierte mich, stetig das Gefühl zu haben, sowohl für den einen als auch für den anderen Job immer zu wenig Zeit zu haben und dadurch nie 100% geben zu können. Und wie in meinem letzten Blogpost schon geschrieben, bewältigte ich in den letzten Monaten ein Arbeitspensum, was ich nicht mehr lange durchhalten würde.

Wenn ich so an den Lehrerberuf denke, in den ich bisher nur eine kurze Zeit reingeschnuppert habe, erinnert er mich irgendwie an einen Eisberg. Von einem Eisberg schwimmt nur ein sehr geringer Teil an der Oberfläche, das meiste davon liegt tief verborgen im Wasser.

Wenn Eltern Lehrer sehen, sehen sie Beamte, die ab mittags frei haben und immer dann Urlaub machen, wenn Ferien sind. Aber da ist noch so viel mehr, was keiner sieht und keiner weiß. Kaum jemand weiß, dass 25 Stunden in der Schule nicht annähernd vergleichbar mit 25 Stunden in der Wirtschaft sind.

Während des Schuljahres kommen noch allerhand außerschulische Termine dazu: Dienstberatungen, Klassen-, Zeugnis-, Gesamtkonferenzen, Fortbildungen, Fachschaftssitzungen usw. Wirklich Urlaub haben Lehrer nur in den Sommerferien. Die restlichen Ferien gehen für Korrekturen, Klausur- und Unterrichtsvorbereitung drauf. Der Sonntagnachmittag ist grundsätzlich geblockt, weil der nächste Tag oder vielleicht schon die ganze Woche vorbereiten werden muss.

Die Unterrichtsvorbereitung ist das A und O in der Schule, denn jede Stunde muss so strukturiert werden, dass den Schülern das Fachwissen didaktisch gut vermittelt werden kann.

Erfahrene Lehrer, die schon lange dabei sind, brauchen pro Unterrichtsstunde vielleicht 30 Minuten zum Vorbereiten. Bis Anfänger aber dahin kommen, ist es ein sehr langer Weg, der viele Jahre dauert.

Ich als Seiteneinsteigerin benötige zum Vorbereiten einer Unterrichtsstunde ca. 2-3 Stunden, weil ich zwar den fachlichen Stoff habe, mir aber das Wissen fehlt, diesen didaktisch gut aufzubereiten.

Abhängig vom Bundesland fangen Referendare nach dem Lehramtsstudium mit 8-12 Stunden in der Schule an. Ein Teil davon hospitieren sie, einen anderen Teil geben sie selbst schon Unterricht. 18 Monate lang haben Referendare Zeit, in die Rolle des Lehrers reinzuwachsen. Danach starten sie meistens Vollzeit an der Schule – am Gymnasium sind das 25 Unterrichtsstunden.

Seiteneinsteiger haben vielleicht das Fachwissen, aber keinerlei didaktisches Hintergrundwissen. Sie müssen nach einem vierwöchigen Grundlagenkurs mit 25 Unterrichtsstunden in der Schule starten.

Man braucht kein Studium, um festzustellen, dass es unmöglich ist, als Seiteneinsteiger 25 GUTE Unterrichtsstunden zu halten. Ich mit meiner Teilzeit von 15 Unterrichtsstunden wollte unbedingt guten Unterricht geben, damit die Schüler den Stoff verstehen und wenigstens mit ein bisschen Freude bei der Sache sind.

Und da stieß ich an meine Grenze.

Ich habe gemerkt, dass ich nur dann guten Unterricht geben kann, wenn ich mich ausschließlich und zu 100 % diesem Beruf widme. Das hätte ich auch gern mit viel Engagement und Herzblut gemacht. Doch dann hätte ich alles um mich herum vernachlässigt – meine Familie, meine Gesundheit und letztendlich auch mich selbst. Und das über einen Zeitraum von ca. 1 bis 2 Jahren.

Der August ist dafür prädestiniert, der Monat der lebensverändernden Entscheidungen zu werden. Wir haben uns im August 2022 dafür entschieden, unsere Zelte in Montenegro vorzeitig wieder abzubrechen und so habe ich auch dieses Jahr im August eine notwendige Entscheidung getroffen. Wie alle großen Entscheidungen gehörte diese ebenfalls zu den schwersten in meinem Leben und es dauerte lange, bis sie endgültig war.

Während der Entscheidungsphase habe ich alle möglichen Argumente sowohl für den einen als auch für den anderen Beruf von allen Seiten beleuchtet und tausendmal abgewogen. Ich habe viel darüber geredet, mit Ronny, mit Freundinnen, mit meinen Eltern. Oft lag ich in der Nacht wach und grübelte – tagsüber grübelte ich noch viel mehr.

Das Zünglein an der Waage war ein Telefonat mit meiner sehr guten Freundin Sofia (siehe Blogbeitrag vom 13.03.23). Ich erklärte ihr meine Sachlage und das Dilemma, in dem ich mich befand. Sie hörte sich meine Situation ganz genau an und äußerte daraufhin die wahrscheinlich wichtigste Frage:

„Was soll in den nächsten 6 Monaten in deinem Leben Priorität 1, 2 und 3 haben?“ Ich antworte ihr und dann sagte sie: „Und jetzt überlege doch mal, mit welchem Job du diese Prioritätenliste umsetzen kannst!“ Das war der KO-Schlag für die Lehrerin.

Trotz der Freude, mit der ich Lehrerin war, habe ich mich gegen diesen sinnstiftenden Beruf entschieden und meine Anstellung zum 31.8.2023 gekündigt. Ab 1.9. werde ich wieder Content Creator und schreibe überwiegend Texte. Diese Arbeit mit all seinen Vor- und Nachteilen passt gerade besser zu meinem Lebensmodell als die einer Lehrerin.

Derzeit übernehme ich nur noch Vertretungsstunden und lass mir unterschiedliche Stundeninhalte einfallen. Es macht immer noch Spaß. Und ich sehe ganz tolle Kinder, die großes Potential haben und wünsche mir, dass sie diese Stärken irgendwann selbst erkennen und daran wachsen.

4 Tage bin ich noch in der Schule und dann beginnt wieder ein weiteres, neues Abenteuer, dessen Ausgang ungewiss ist.

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Hop oder Top

Das Schuljahr 2022/2023 ist vorbei und mittlerweile sind schon wieder fast drei Ferienwochen ins Land gezogen. Es waren anstrengende 2 Monate bis hierhin und ich habe das Gefühl, dass ich in meinem ganzen Leben noch nie so hart für mein Geld gearbeitet habe.

Ich wollte mir bis zum Schuljahresende Zeit geben, um zu entscheiden, wie es weitergehen soll. Damals hatte ich gehofft, dass sich irgendeine Art von Gefühl einstellt mit dem sich leicht eine Entscheidung treffen lässt. Die gute Nachricht ist: Es hat sich ein deutliches Gefühl eingestellt. Die schlechte Nachricht dabei ist: Ich kann trotzdem keine Entscheidung treffen. Und ich will auch keine Entscheidung treffen.

Der Lehrerjob macht mir wirklich Spaß. Kein Tag ist wie der andere und diese Abwechslung ist genau das, wonach ich immer gesucht habe. Ich sitze nicht den ganzen Tag allein vor dem Computer in irgendeinem Büro, sondern bin ständig unter Menschen. Ich habe sehr nette Kollegen und Kolleginnen um mich und arbeite trotzdem für mich allein. Meine Aufgaben sind viel und vielfältig. Die Interaktion mit den Schülern und Schülerinnen fetzt und klappt immer besser, je mehr wir uns gegenseitig kennenlernen. Mir geht das Herz auf, wenn ich sehe, dass sie die Chemie verstehen und gerade auch Mädchen aktiv mitmachen, mitdenken und wirklich gut in dem Fach sind. Das Unterrichten ist für mich eine so sinnvolle und sinnstiftende Arbeit, dass ich gern meine Zeit und Energie darin investiere.

Doch es schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Denn das Texten macht mir auch Spaß, auch wenn es leider nur an zweiter Stelle kommt und ich es leider dadurch so vernachlässigen muss. Diese Arbeit empfinde ich lange nicht so erfüllend wie den Lehrerjob. Trotzdem macht es mir Spaß, Teil eines so wunderbaren Teams zu sein. Ich erlebe mit, wie neue Webseiten das Licht der Welt erblicken und ich ihnen mit meinen Texten Leben einhauchen kann. Sie werden dadurch zu meinen Babys, um die ich mich weiter kümmern und die ich sehr ungern in andere Hände legen möchte.

Im Moment ist es mir noch möglich, beide Jobs (mehr oder weniger) gut unter einen Hut zu bekommen, aber ich komme langsam an meine Grenzen. Ich merke, dass mir die Kraft ausgeht, dieses Pensum weiterhin zu schaffen. Ich befürchte, der Zeitpunkt der Entscheidung kommt immer näher. Aber ich will das nicht! Ich will mich nicht entscheiden müssen. Ich habe Angst davor und will diesen Tag so weit wie möglich von mir wegschieben. Ich will nicht eine von beiden Sachen aufgeben, auch wenn es für mich in jeglicher Hinsicht eine große Erleichterung bringen würde.

Ich hoffe – wie immer bei großen Entscheidungen, die mir bevorstehen – dass sie ein Anderer für mich übernimmt oder dass sie durch äußere Umstände von allein getroffen werden oder dass eine gute Fee kommt oder oder oder … Hauptsache, ich muss sie nicht treffen. Leider passiert das in den seltensten Fällen und bleibt deshalb oft nur Wunschdenken.

Was macht man in solchen Fällen?

Eine Pro- und Contra-Liste aufstellen? Auf sein Herz hören? Auf seinen Verstand hören oder doch aufs Bauchgefühl? Eine Umfrage starten? Darauf warten, dass das Universum mir ein Zeichen gibt? Abwarten und Tee trinken?

Wieder mal bin ich ratlos und mir bleibt nur die Hoffnung, dass sich alles fügt. Irgendwie.

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Warum Konditionierung sich auch rächen kann

Eigentlich wollte ich einen Blog Post über meine erste Workation schreiben, die ich Anfang Mai mit Ronny und den Kindern in Frankreich erlebt habe, aber zum einen sitze ich an dem Artikel schon über zwei Wochen, weil mir nicht die passenden Worte einfallen (ja, auch Texterinnen gehen mal die Worte aus) und zum anderen sind bei mir gerade andere Themen viel brisanter, die mich zum Grübeln bringen und deshalb veröffentlicht werden sollten.

Ich habe die ersten zwei Wochen hinter mir, in denen ich so richtig in den Schulalltag integriert bin. Ich habe an meiner ersten Dienstberatung teilgenommen, habe schon etliche Vertretungsstunden übernommen und unterrichte offiziell in zwei 8. Klassen Chemie. Nebenbei hole ich mir noch sehr viele Tipps und Unterstützung von meiner Kollegin, die mir – Gott sei Dank – noch bei der Unterrichtsvorbereitung hilft und ohne die ich definitiv schon die Segel gestrichen hätte.

Wer mich gut kennt, weiß, dass Geduld absolut nicht meine Stärke ist. Ich will, dass etwas funktioniert und ich will, dass es so schnell wie möglich funktioniert. Und das tut es nicht. Das tut es im Moment ganz und gar nicht und das frustriert mich. Das frustriert mich sehr.

Offiziell unterrichte ich 15 Stunden, inoffiziell sind es durchschnittlich nur 11 Stunden. Die Unterrichtsvorbereitung dieser 11 Unterrichtsstunden kostet mich gerade so viel Zeit, dass ich derzeit kaum mehr als das schaffe. Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass ich weiterhin als Texterin arbeite. Erstens, um die finanzielle Differenz zu dem Vollzeit-Lehrergehalt abzupuffern. Zweitens, um nicht in die Arbeitslosigkeit zu rutschen falls ich den Lehrerjob kündige und drittens, weil ich nun mal gern Texte schreibe.

Summa summarum habe ich also zwei Jobs und meinen regulären Alltag dazu…Mann, Kinder, Haus und Hof…Ich unterrichte in der Schule und wenn ich nicht in der Schule bin, bereite ich den Unterricht dafür vor und wenn ich das nicht mache, schreibe ich Texte. So sieht mein Alltag derzeit grob aus. Mann, Kinder, Haus und Hof laufen so nebenbei und müssen halbherzig „abgehandelt“ werden. Das nervt mich gerade so richtig, denn der Rest, den ich gern für mich noch zusätzlich machen würde, fällt einfach hinten runter. Sportkurse sage ich ab, Spieleabende sage ich ab und um meinen Blog kann ich mich auch nur noch sporadisch kümmern. Termine, die ich dann doch wahrnehme, verbringe ich unter Zeitdruck, werde hippelig, wenn sie zu lange dauern oder schlafe sogar dabei ein, wie neulich beim Friseur.

Wenn ich früher eine neue Arbeitsstelle angetreten bin, war die Anfangszeit ähnlich stressig. Meine Erfahrungen jedoch ließen mich ruhig bleiben, denn ich wusste, der Stress nimmt ab, wenn sich alles eingespielt hat und ich über immer mehr Routine verfüge. Das Eintreten der Routine hat zwar mitunter 3 bis 6 Monate gedauert, aber danach war alles gut. 3 bis 6 Monate im Lehrerjob sind eine halbe Ewigkeit, von der ich jeden Tag ums Überleben kämpfen, mich gegen meine Ungeduld zur Wehr setzen und mich immer wieder neu motivieren muss, nicht aufzugeben. Wenn ich andere Lehrerinnen frage, kann diese „Einarbeitungszeit“ mitunter auch ein bis zwei Jahre dauern. Das wäre definitiv mein absolutes Todesurteil.

Ronny sagte neulich zu mir, als er mich schon wieder stundenlang vor dem Laptop hat sitzen sehen, dass meine Arbeitsweise vielleicht nicht effektiv sei. Da guckte ich ihn ungläubig an und dachte, er will mich auf den Arm nehmen. Eine effektive Arbeitsweise ist doch das, woran ich seit 15 Jahren in meinem bisherigen Beruf gearbeitet habe, was ich bei jedem neuen Job bis ins Detail perfektionieren musste, um das Arbeitspensum zu schaffen und was in meinem Lebenslauf bei den Softskills ganz oben stand. Und diese Arbeitsweise soll jetzt mein Verderben sein???

Ja, leider ist das durchaus denkbar. Denn was in Unternehmen effektiv ist, muss im Schulalltag nicht gleichsam effektiv sein. Unternehmen in der freien Wirtschaft zielen immer auf Gewinn ab, arbeiten nach dem Motto „Höher, schneller, weiter“. Mitarbeiter sollen lernen, über den Tellerrand zu schauen, um neue gewinnbringende Produkte oder weitere Optimierungspotenziale zu erkennen. Prozesse sollen rentabler gestaltet werden, um mehr Ergebnisse in weniger Zeit zu erzeugen. Immer mit einer unanfechtbaren und aufwendigen Qualitätssicherung, um die hohe Qualität zu halten und noch weiter zu erhöhen. Ständig musste irgendwas überdacht, besprochen und verbessert werden. Das war mein tägliches Brot in den letzten 15 Jahren und darauf habe ich meine Arbeitsweise konditioniert.

Diese antrainierte Arbeitsweise führt jetzt aber anscheinend dazu, dass ich ineffektiv bin. Ich konzentriere mich nicht auf das Wesentliche, suche stattdessen nach Verbesserungsmöglichkeiten, nach besonderen Beispielen, die der Thematik ihre Einzigartigkeit verleihen und lass mich dadurch ablenken, komme vom hundertstel ins tausendstel. Dabei steht mir ganz sicher auch mein eigener Anspruch im Weg.

Der Anspruch, der bisher an mich gestellt wurde, war Leistung mit höchster Qualität abzuliefern, in kurzer Zeit und zu jeder Zeit. Diese Leistung sollte fundiertes und weitgestreutes Wissen zugrunde liegen und über den Standard hinausgehen. Das wurde von mir erwartet und das wollte ich natürlich auch erfüllen. Und somit wurde der Anspruch an mich ganz automatisch auch zu meinem Anspruch. Aber mein Anspruch wird mir jetzt zum Verhängnis und lässt Frustration zurück, weil er mir Steine in den Weg legt und ich auf diese Weise nicht weiterkomme. Zumindest nicht soweit, dass ich Schule und Alltag annähernd unter einen Hut bekomme.  

Ein erster Denkansatz zur Problembewältigung wäre möglicherweise dieser: Vielleicht ist es in meinem jetzigen Berufsalltag gar nicht notwendig, Leistung mit höchster Qualität abzuliefern? Vielleicht reicht es auch, wenn ich „nur“ Leistung mit guter Qualität abliefere? Wie bei dem Pareto-Prinzip: 80% der Ergebnisse mit 20% Gesamtaufwand erreichen.

Also einfach meine Ansprüche runterschrauben? Konditionierte Verhaltensweisen ad acta legen? Ich bin skeptisch, ob ich das wirklich hinkriege. Vielleicht wäre das aber der Schlüssel zum Erfolg? Es wäre zumindest ein erster Lösungsansatz und ein Versuch wert.

Vielleicht klappt es damit, vielleicht aber auch nicht. Ich weiß es nicht. Ich kann es nur ausprobieren. Wenn es nicht klappt, muss ich mir was anderes überlegen, weitere Stellschrauben betätigen, solange bis es funktioniert. Ich weiß nur eins: so wie es jetzt läuft, funktioniert es nicht, und schon gar nicht drei, sechs oder zwölf Monate, auch nicht mit dem höchsten Grad an Unterstützung aus allen Reihen.

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Auf wackligen Beinen

Den Grundlagenkurs für Lehrkräfte im Seiteneinstieg habe ich erfolgreich abgeschlossen und schon ersten eigenen Unterricht gegeben. Die letzten Wochen waren turbulent und bis zur letzten Minute gefüllt, deswegen ist mein letzter Beitrag auch schon über einen Monat her.

Gestartet habe ich den Kurs mit Euphorie, Optimismus und 100%iger Zuversicht – geblieben ist mir davon nicht mehr viel. Stattdessen bin ich in der Realität angekommen. Ich werde mir von Tag zu Tag der Tragweite meiner Entscheidung immer mehr bewusst, habe bereits einen kleinen Einblick in die Größe meiner übernommenen Verantwortung bekommen und wurde völlig überrumpelt von der Masse an Zeit, die ich in meine Unterrichtsvorbereitung für die nächsten Wochen und Monaten investieren muss.

Mein neuer Alltag fühlt sich an wie ein Gummiband, an dem von allen Seiten gezogen wird, weil jeder für sich das größte Stück abbekommen will. Schule, Familie, Hobbys und Nebenjob fordern ihre Zeit und ich frage mich, wie 24 Stunden jemals dafür reichen sollen?!

Was mir aber wirklich Angst macht, ist die Tatsache, dass ich erst eine Woche als Lehrerin arbeite. Die erste Woche war eine Einsteigerwoche. Eine Woche, in der ich noch keine 15 Stunden allein unterrichtet habe, so wie es vertraglich vereinbart wurde und so wie es nach den Pfingstferien weitergehen soll.

Wie soll ich jemals den Ansprüchen, die an mich gestellt werden, gerecht werden? Und das auch noch über einen geschätzten Zeitraum von einem Jahr?

Ich bin ratlos.

Lehrerin sein und Unterricht geben ist eine Mammutaufgabe, auch wenn es von außen betrachtet für niemanden so scheint. Dabei ist das „vor der Klasse stehen“ und „dabei authentisch sein“ mittlerweile die kleinste Hürde für mich.

Es macht mir Spaß, wieder unter/mit Menschen zu arbeiten und es macht mir Spaß, wieder bei den Grundlagen der Chemie angekommen zu sein, aber der Preis ist hoch und wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, ob ich stark genug dafür bin, diesen Alltag über einen längeren Zeitraum durchzustehen.

Meine jetzige Strategie: Ich warte erstmal das Ende des Schuljahres ab. Bis dahin werde ich mein Bestes geben und mit einem guten Zeitmanagement versuchen, alle Parteien zufrieden zu stellen, nicht zu 100% aber so viel wie möglich. Dann wäge ich neu ab. Dann entscheide ich, wie es weiter gehen soll.  

Ruhe bewahren. Immer ein Schritt nach dem anderen gehen. Und dann situationsabhängig die Entscheidung treffen, die sich für mich und für den Moment richtig anfühlt. Das ist mein Plan.