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Resümee der letzten 11 Wochen

In zwei Tagen fliege ich mit den Kindern nach Deutschland um meine Eltern zu besuchen und automatisch ziehe ich ein Resümee aus der Zeit hier in Montenegro. Wir leben jetzt seit knapp 11 Wochen hier…wie habe ich die Zeit eigentlich genutzt?

Vor unserer Reise habe ich bzw. haben wir erst einmal den Mut aufgebracht, alle Zelte in Deutschland abzubrechen, unsere Komfortzone zu verlassen und uns bewusst zu entscheiden, in einem uns unbekannten Land zu ziehen und den Status „fremd“ anzunehmen. Diesen Prozess haben wir in diesem Ausmaß noch nie durchlebt und wir haben den Schweregrad unterschätzt. Dennoch haben wir diese Schwierigkeit gemeistert und ich kann mich jetzt viel besser in eine Person hineinversetzen, die irgendwo als Fremde einen Neubeginn wagt.  

Ich bin gerade dabei, die montenegrinische Sprache zu lernen und stelle mich dabei gar nicht so dumm an. Ich lerne sie nicht aus Büchern oder aus dem Internet, sondern unsere Nachbarin bringt sie mir bei. Sie ist ein herzensguter Mensch und wir haben schnell Freundschaft geschlossen. Wir treffen uns meistens abends und weil wir uns in vielen Sachen ähneln, finden wir auch immer Dinge über die wir zusammen lachen können. Sie erzählt mir nebenbei viel über das Land und die Menschen, wodurch ich ein besseres Verständnis und eine klarere Sicht auf die Dinge um mich herum bekomme.

Ich habe vor unserer Reise meine eigene Homepage erstellt und veröffentliche seitdem regelmäßig Beiträge, in denen ich über das Land, unser Leben und mich schreibe. Auch wenn es eine einfache Homepage ist, freue ich mich über jeden Artikel, um dem ich sie erweitern kann. Das Schreiben macht mir Spaß und ich habe es sogar geschafft, mit einem von mir geschriebenen Text, Geld zu verdienen. Darauf bin ich wirklich stolz und könnte mir sogar vorstellen, das zu erweitern.

Mittlerweile backe ich für uns jeden zweiten Tag Brot – eines unserer Grundnahrungsmittel. Ich backe es nicht mit Hefe, sondern mit Sauerteig. Das Ansetzen des Sauerteigs hat mich viele Versuche gekostet. Weil ich aber nicht aufgegeben wollte, hat es irgendwann geklappt und somit können wir jeden Tag Brot essen, was dem aus Deutschland schon sehr nahekommt.

Durch die Erlebnisse der letzten 11 Wochen bin innerlich ruhiger geworden. Ich konnte den deutschen Stress von mir abschütteln und mich der montenegrinischen Gelassenheit und Lebensweise annehmen. Ich habe mich verändert – glücklicherweise zum Positiven. Gemerkt habe ich es unteranderem an eine gestrige Situation: Ich wollte mit einem Löffel Eis aus einer Dose in eine Schale portionieren. Da das Eis noch sehr hart und der Löffel aus einem sehr weichen Metall war, bog sich der Stiel des Löffels merklich um. Noch vor 3 Monaten hätte ich den Löffel wutentbrannt in die Ecke geschmissen, gestern jedoch musste ich herzhaft darüber lachen und die anderen stimmten meinem Lachen mit ein. Diese Situation zeigt mir, dass ich mich auf dem richtigen Weg befinde. Ich merke zwar, dass ich noch das eine oder andere Päckchen mit mir rumtrage, aber ich hoffe, dass ich diese auf meinem zukünftigen Weg, wohin er mich auch führt, auch noch loswerde…

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Was passiert hier?

In den letzten Tagen habe ich gemerkt, dass ich allmählich entspannter werde, ruhiger, ausgeglichener. Ich fühle mich ganz anders als noch vor zwei Monaten. Irgendwas passiert doch hier gerade mit mir. Mutiere ich, verwandele ich mich? Was ist das? Was geschieht hier mit mir???

Mein Tag startet ruhig und während des Frühstücks überlegen wir, wie wir unseren Tag gestalten möchten und ich erlebe immer öfter, dass ich abends sage: „Heute war ein schöner Tag!“ Ich genieße das Wetter, das Meer und die Nachmittage mit den Kindern am Strand. Ich finde Zeit, Dinge für mich zu machen, und habe auch Lust dazu, ohne mich von äußeren Einflüssen stressen lassen zu müssen. Manchmal ertappe ich mich sogar dabei, wie ich zwischendurch einfach mal lache. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal einfach so ein Lächeln auf den Lippen hatte.

Ich finde es herrlich, wenn der Tag ausklingt, die Stadt ruhiger wird und die Nacht hereinbricht, überall die Lichter angehen und die Luft um mich herum angenehm warm bleibt. Das ist ein Moment, den ich zu meinen Glücksmomenten zähle und die erlebe ich in letzter Zeit öfter. Und in solchen Momenten empfinde ich jetzt eine unheimlich große Dankbarkeit. Und so langsam wird mir klar, dass ich eigentlich auch wirklich dankbar sein kann. Dafür, dass diese Auszeit möglich ist und ich all das erleben darf. Dafür, dass ich Zeit zum Schreiben habe, zum Ausprobieren und zum Bücherlesen. Dafür, dass ich mich mit mir selbst befassen kann und entdecke, was mir wichtig ist und was mir Spaß macht. Dafür, dass ich bisher tolle neue Menschen kennengelernt habe. Dafür, dass ich endlich mehr Zeit mit den Kindern verbringen kann. Ach, mir würden noch hundert Sachen mehr einfallen…

Doch das wichtigste für mich ist dabei, dass mein Leben wieder Spaß macht und nicht mehr nur aus getaktetem Abarbeiten von Pflichtaufgaben besteht. Allein dafür hat sich das Auswandern schon gelohnt.

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Der 5-Jahres-Plan

Heute ist der 26.05.2022 – Christi Himmelfahrt – zumindest in Deutschland, hier in Montenegro gibt es diesen Feiertag nicht. In Deutschland ist dieser Tag auch besser bekannt als Männertag. Im Allgemeinen ist es so üblich, dass die Männer sich in Gruppen zusammenfinden und gemeinsam einen Tag ohne Frauen verbringen. In den letzten Jahren haben wir an diesem Feiertag aber meistens als Familie zusammen irgendetwas Schönes unternommen. Und ich kann mich noch ganz genau an den Männertag 2021 erinnern. Das Wetter war eher kühl und regnerisch, trotzdem haben wir uns am frühen Nachmittag mit einer befreundeten Familie zum Grillen bei uns getroffen. Es war ein sehr schöner Tag, die Kinder haben miteinander gespielt, wir haben gelacht, viel geredet und Pläne für die kommenden Monate geschmiedet. Und keiner von uns hätte im Entferntesten gedacht, dass wir ein Jahr später nicht mehr dort wohnen werden, sondern in einem kleinen Land namens Montenegro. Unsere Pläne vor einem Jahr sahen definitiv anders aus. Mein Plan war es eigentlich, dort noch länger wohnen zu bleiben, die Vorteile von Freunde, Sprache und Komfort weiterhin genießen und immer noch glücklich meiner Arbeit nachgehen zu können. Doch dann kam alles ganz anders und vor allem völlig ungeplant – und wieder sehe ich, Langzeit-Planungen sind doch absoluter Bullshit! Zumindest in unserer Familie, wie die Erfahrungen aus den letzten 10 Jahre zeigen.

Im Jahr 2017, als ich wegen eines Bewerbungsgespräches in Lübeck war, hat mich mein zukünftiger Chef gefragt, wo ich mich in 5 Jahren sehe. Damals hatte ich ganz klare Vorstellungen und konnte ihm diese Frage ohne Probleme beantworten. Und wenn ich sehe, wo ich wirklich bin, denke ich mir, diese Frage sollte aus dem Bewerbungsfragenkatalog gänzlich gestrichen werden. Man kann Idealvorstellungen äußern, intensiv daraufhin arbeiten, alles dafür tun aber die Zielerreichung hängt letztendlich nicht nur von einem selbst ab. Denn in dieser jetzigen schnelllebigen Zeit kann doch keiner auch nur ahnen was nächsten Monat ist, geschweige denn in einem Jahr. Die Eckpunkte unseres Alltags können sich so schnell ändern, dass man in der Lage sein muss, ebenso schnell zu reagieren und notfalls sein ganzes Leben umzustellen – Langzeit-Pläne hin oder her. Es trifft sicher nur auf einige Menschen und Familien zu, auf jeden Fall auf uns – ob leider oder zum Glück wage ich im Moment nicht zu entscheiden.

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Woche 7

Mittlerweile leben wir fast 7 Wochen in Montenegro, wovon wir annähernd vier Wochen auf das Haus unserer deutschen Bekannten aufgepasst haben. Für uns alle waren diese vier Wochen eine sehr schöne und erholsame Zeit, trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Fürsorge der Tiere.

Mein Tief von vor 1,5 Wochen habe ich überwunden und so ein bisschen hat sich wieder ein „Alltag“ eingeschlichen, der sich wahrscheinlich ändern wird, wenn wir am Sonntag wieder zurück in unsere Wohnung nach Kotor ziehen.

Es ist morgens schon so warm, dass wir ohne Überlegungen kurze Hose und T-Shirt anziehen können – das ist das, was wir vor 10 Jahren in Vietnam schon mitgemacht haben und seitdem immer wieder wollten. Und jetzt haben wir es – schlechte Laune aufgrund von Regen werde ich wohl so schnell nicht wieder bekommen…

Vormittags machen wir mit den Kindern Home Schooling und nachmittags machen wir kurze Ausflüge (z. B. zum Baden an den Strand) oder bleiben zu Hause um Sachen zu machen worauf wir gerade Lust haben (z. B. eine extra Runde mit den Hunden drehen). Und ich bin erstaunt wieviel Zeit ich doch noch für mich selbst zur Verfügung habe – ich habe Zeit um Bücher zu lesen, zu backen, neue Rezepte auszuprobieren, zu schreiben, Serbisch zu lernen, zu joggen, … und es bleibt trotzdem immer noch viel Zeit für die Kinder übrig. Ich bin überwältigt wie lang doch ein Tag sein kann und wie bewusst ich ihn füllen und erleben kann. Diese Erfahrung hätte ich in Deutschland womöglich nie gemacht. Gerade deswegen bin ich für diese Erfahrung auch sehr dankbar und ich hoffe sehr, dass es nur eine von vielen sein wird, die ich in den nächsten Monaten noch sammeln werde.

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Ursachenforschung

Vor ca. drei Tagen hat mich eine komische Stimmung befallen. Ich würde sagen, auf mir liegt eine Art Melancholie. Sie kam einfach aus dem Nichts. Abends als ich ins Bett gegangen bin, war alles noch gut und als ich morgens aufwachte, war sie da, einfach so. Seitdem überlege ich wo sie herkommt und noch mehr grübele ich darüber nach wie ich sie wieder loswerde.

Ich hatte solche Stimmungseinbrüche auch schon öfter in Deutschland aber da wusste ich sofort wo sie herkamen, viele Möglichkeiten dafür gab es ja nicht. Meistens lag die Ursache darin, dass ich mich in den Tagen zuvor entweder physisch oder psychisch verausgabt habe und mein Körper mir dadurch signalisierte: „Hallo Jeannette, hier spricht dein Körper! Falls du es vergessen haben solltest, ich bin auch noch da und ich brauche jetzt eine Pause. Schalte mal einen Gang runter! Und fang am besten jetzt gleich damit an!“ An dem Tag, an dem ich dieses überdeutliche Signal erhalten hatte, lief dann bei mir auch gar nichts mehr. Ich hatte zu nichts Lust und konnte mich zu nichts aufraffen. Ich wollte niemanden sehen und wollte einfach nur meine Ruhe haben, und am besten auch allein sein. So gut ich konnte, ging ich dann diesen für mich überlebensnotwendigen Bedürfnissen nach und spätestens nach zwei Tagen war ich wieder ganz die Alte. Ich war wieder energiegeladen, hatte Lust was zu unternehmen oder rumzuwerkeln und konnte auch wieder lachen.

Dieses Mal sind die Symptome ähnlich aber doch irgendwie anders. Trotz allgemeiner Lustlosigkeit schaffe ich es dennoch, haushaltstypische Dinge zu erledigen oder spazieren zu gehen. Auch wenn ich mit den Kindern zusammen bin, ist es fast normal, nur dass ich eben ruhiger bin. Was mir aber wirklich Sorgen bereitet, ist diese tiefe Traurigkeit, die ich gerade empfinde. Diese dominierende Traurigkeit lässt mich gerade überhaupt kein bisschen Freude empfinden und legt mich in manchen Situationen völlig lahm.

Aber das geht doch nicht: Ich kann doch in einer der schönsten Gegenden der Welt nicht eines der schlimmsten Tiefs habe – das ist doch absolut paradox!!!

Und jetzt kommt die alles entscheidende Frage: Was ist die Ursache dafür???

Überarbeitung? Kann es nicht sein! Mein Körper konnte in den letzten Wochen wirklich seine Kräfte sparen. Außer ein paar Kilometer Joggen musste er keine außergewöhnlichen Anstrengungen vollbringen.

Langeweile? Glaube ich nicht! Das habe ich mir doch immer gewünscht. Deswegen wollte ich doch auch hierherkommen, damit ich endlich mal wieder Langeweile habe. Das hatte ich doch schon in meinem letzten Beitrag ausführlich thematisiert.  

Fehlende Struktur im Alltag? Eher unwahrscheinlich! Dadurch, dass wir mit den Kindern seit ein paar Wochen vormittags Schule machen, hat unser Alltag wieder mehr an Struktur gewonnen. Das finde ich auch wirklich gut.

Berufliche Perspektivlosigkeit? Könnte sein! Aber eigentlich sind wir doch hier im Urlaub, da muss ich doch nicht übers Geld verdienen nachdenken. Das kann ich doch immer noch machen, wenn die Zeit gekommen ist. Das Thema „Ansprüche“ hatte ich doch schon.

Zu wenig menschliche Kontakte? Auch das könnte sein. Ich bin gern mit Menschen zusammen und ich unterhalte mich auch gern. Das kam in den letzten Wochen auf jeden Fall zu kurz. Die Anzahl unserer deutschen Freunde kann ich an einer Hand abzählen und einheimische Freunde habe ich noch keine, weil es mir aufgrund fehlender Sprachkenntnisse nicht möglich ist, eine Unterhaltung zu führen.

Heimweh? Das könnte Ursache Nummer drei sein! Ich vermisse meine Eltern schon sehr. Üblicherweise war es bisher so, dass wir uns mindestens einmal im Monat gesehen haben. Manchmal hat es nicht geklappt, aber manchmal hingegen sahen wir uns auch öfter. Und wenn ich zurückrechne, ist es am heutigen Tag über fünf Wochen her, dass wir uns zum letzten Mal gesehen haben. Telefonieren, auch wenn es Videotelefonie ist, ist definitiv kein adäquater Ersatz für ein Wiedersehen – was nicht nur für meine Eltern gilt, sondern auch für meine zurückgelassenen Freunde. Nichts kann ein persönliches Treffen ersetzen, gar nichts.

Und was mache ich jetzt??? Welche mögliche Ursache soll ich zuerst bekämpfen und vor allem wie? Sollte ich jetzt alle mir verbliebenen Kräfte sammeln und in die Offensive gehen oder lieber abwarten, in der Hoffnung, dass die Melancholie so geht wie sie gekommen ist – plötzlich und von ganz allein? Ehrlich gesagt, bin ich gerade ratlos…

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Das Hamsterrad in meinem Kopf

Ab dem Zeitpunkt als unsere Tochter Annabelle geboren wurde, wurde das Wort „Langeweile“ automatisch und ohne jegliches Zutun aus meinem persönlichen Wortschatz gestrichen, ganz einfach so, von einer Minute auf die nächste. Ich kann mich nicht daran erinnern wann ich das letzte Mal Langeweile hatte. Ich meine nicht diese Art von überschüssiger Zeit, die beim Warten entsteht oder die Zeitspanne zwischen zwei Aktivitäten, wenn die eine Sache noch nicht fertig ist und die andere noch nicht begonnen werden kann. Nein, ich meine wirklich und wahrhaftig bewusst erlebte Langeweile.

Denn wenn ich die letzten Jahre Revue passieren lasse, erinnere ich mich an keinen Tag, der nicht durchgetaktet war. Wir hatten unsere To-Do´s, die abgehakt werden mussten und unsere routinierten Abläufe, die uns dabei halfen. Freie Zeit gab es kaum und wenn, dann habe ich versucht, auch diese vollständig auszufüllen, damit ich sie ja nicht ungenutzt lasse oder gar verschwende. Im Grunde genommen lag meine tägliche Hauptaufgabe darin, zu planen, zu organisieren und mein Zeitmanagement zu optimieren unter zu Hilfenahme vorhandener Ressourcen und Werkzeuge. Wichtig dabei war, für alle Vorhaben möglichst einen Plan B in der Tasche zu haben falls Plan A scheiterte. Warten war für mich die Hölle, denn Zeit war für mich das höchste Gut und durch nichts zu ersetzen oder wieder gut zu machen. Kein Wunder also, dass ich den Tag als solches nie wirklich bewusst erlebt habe, vom Genießen war ich Lichtjahre entfernt. Ich empfand den Alltag oft nur noch als anstrengend. Dass ich mich bildlich gesehen in einem Hamsterrad befand und mir dieses alles andere als guttat, habe ich in den letzten beiden Jahren erst so richtig wahrgenommen. Klar habe ich an der einen oder anderen Stellschraube gedreht, um das Rad für mich angenehmer oder langsamer zu machen, aber ich war trotzdem immer noch Teil dieses und alles andere als glücklich.

Nun bin ich seit über vier Wochen in Montenegro und es ist erstaunlich, dass ich mit dem Wegzug aus Deutschland zwar aus dem Alltagskarussell aussteigen konnte, aber trotzdem das Hamsterrad in meinem Kopf bis jetzt immer noch nicht losgeworden bin. Ich befinde mich immer noch in dem Modus, meine vorhandene Zeit optimal ausnutzen zu wollen und meinen Tag von der Uhr bestimmen zu lassen. Es erschreckt mich, dass ich mich nicht einfach mal hinsetzen kann um die Aussicht zu genießen oder einen Moment bewusst zu erleben. Und ich fühle ich unwohl, wenn Langeweile aufkommt, weil ich mit ihr nicht umgehen kann. Ich merke, dass viele Jahre im Hamsterrad nicht in wenigen Wochen abzuschütteln sind und muss mir wohl eingestehen, dass ich diesbezüglich geduldiger mit mir sein muss und mir bis zum endgültigen Ausstieg aus dem Hamsterrad wohl leider nur das Abwarten bleibt.  

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Ansprüche

Neulich nach mehreren Textnachrichten zwischen meiner besten Freundin und mir hatte sie mir den Tipp gegeben „Lass dich doch einfach mal auf das Leben dort ein!“. Der Satz hat mich zum Nachdenken gebracht und ich fragte mich, warum mir das „mich auf das montenegrinische Leben einlassen“ so schwerfällt.

Nach längerem Überlegen ist mir eingefallen, dass es doch vielleicht meine Ansprüche sein könnten, die mir beim „Darauf-Einlassen“ nicht nur Steine in den Weg legen, sondern mich auch damit bewerfen wollen. Aber woher kommen diese Ansprüche? Sind es wirklich meine eigenen oder sind es allgemeine Ansprüche, die ich ganz unbemerkt zu meinen habe werden lasse?

Zugegeben in manchen Dingen, z. B. in der Schulzeit oder während des Studiums, haben meine Ansprüche mir geholfen, meine Ziele zu erreichen und sogar über mich hinauszuwachsen. Aber irgendwann kam der Punkt, an dem aus uns Freunden Feinde wurden und ich den Kampf gegen meine Ansprüche aufnehmen musste. Nicht weil ich Lust dazu hatte, sondern weil mir nichts anderes übrig blieb um mich und meine Ressourcen zu schonen.

Ein gutes Beispiel dafür ist das Thema „frische Luft schnappen“. Als die Kinder noch sehr klein waren, wollte ich jeden Tag mit ihnen rauszugehen, bei Wind und Wetter, egal ob es regnet oder schneit. Das haben Ronny und ich auch konsequent durchgezogen. Aber als die Kinder älter waren, gab es mal irgendwann einen Tag mit absolut scheußlichem Wetter. Ich habe alle aus der Familie dazu gebracht, mit mir rauszugehen mit der Konsequenz, dass wir nach 30 Minuten komplett durchnässt und mit schlechter Laune wieder zu Hause waren. Danach habe ich meine Ansprüche überdacht und beschlossen, sie diesbezüglich einfach herunterzuschrauben. Seitdem gibt es auch Tage an denen ich nicht rausgehe, einfach weil es mir bei Regen draußen keinen Spaß macht und ich mich einen Tag ohne ohne frische Luft in meiner Haut trotzdem wohl fühle. Entgegen meines prophezeiten Weltuntergangs, der eintritt, wenn ich mal meine Ansprüche herunterschraube, habe ich dieses Worst-Case-Szenario überlebt und bin seitdem sogar entspannter.  

Also sollte ich es hier in Montenegro vielleicht auch mal damit versuchen – mit dem Überdenken meiner Ansprüche, die ich mir in Deutschland so mühsam angeeignet habe. Und was spricht eigentlich dagegen, die Führung dabei ganz zu übernehmen und Jongleur der eigenen Ansprüche zu werden: „Diese da stecke ich zurück und diese dort werden wichtiger und manche werfe ich ganz weg“ – alles als eine Momentaufnahme betrachtet und geleitet von meiner Zufriedenheit und meinem Wohlbefinden. „Gerade ist doch nicht wichtig, ob ich die neue Sprache in drei oder sechs Monaten lerne oder ob ich mich nach vier Wochen eingewöhnt habe oder nach acht. Es ist wie es ist – alles kann, nichts muss.“

Ob diese Strategie langfristig erfolgreich sein wird, ist noch herauszufinden aber zumindest verliere ich den Kontakt zu mir selbst nicht und erhöhe die Wahrscheinlichkeit, mich auf mein neues Leben einstellen zu können. Und ich denke mir, generell sollten doch als Messlatte unserer Ansprüche unsere Zufriedenheit und unser Wohlbefinden dienen um nicht Gefahr zu laufen, dass sich die Symbiose zwischen uns und unseren Ansprüchen auf fatale Weise zu einem Parasitismus entwickelt.

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Woche 3

„Unverhofft kommt oft“

Aufgrund meines Blogs über unsere Auswanderung habe ich überraschenderweise am Montag das Angebot bekommen, als Texterin zu arbeiten. Es geht dabei um die Erstellung von Texten auf Internetseiten. Im Laufe dieser Woche soll ich meine erste Aufgabe bekommen und ich bin gespannt wie ich diese meistere. Auf jeden Fall freue ich mich riesig über die neue Herausforderung und dass ich die Chance bekommen habe, mit dem Schreiben Geld verdienen zu können.

„Große Dinge beginnen oft ganz klein“

Am Freitag haben wir eine sehr nette deutsche Familie kennengelernt, die schon seit über 17 Jahren in Montenegro wohnt und jemanden sucht, der auf ihr Haus aufpasst während sie für ein paar Wochen in Deutschland ist. Die Familie wohnt in der Nähe von Kotor und hat etliche Hunde und Katzen, die bei ihrer Abwesenheit versorgt werden müssen. Es war ein sehr schöner Nachmittag und gerade die Kinder wollten gar nicht mehr nach Hause. Deswegen würden wir uns alle freuen, uns um die Tiere kümmern zu dürfen.

„Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“

Zu guter Letzt haben wir unsere erste Bekanntschaft mit dem montenegrinischen Gesundheitssystem gemacht. Gestern, am späten Nachmittag, hat sich Annabelle auf einem Sportgerät, was in unmittelbarer Nähe eines Spielplatzes stand, das Kinn aufgeschlagen. Weil die Wunde in unseren Augen doch recht groß erschien, sind wir zur Sicherheit ins Krankenhaus gefahren. Mehrere Schwestern und/oder Ärztinnen haben sich um Annabelle gekümmert und die Wunde angemessen versorgt. Alle waren sehr nett und es ging recht schnell, so dass wir 1h später mit 290 Euro weniger in der Tasche wieder zu Hause waren.

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Schwebezustand

Im Moment fühle ich mich wie ein Schwebeteilchen im Wasser, was sich nicht entscheiden kann, zu welcher Seite es gehört – oben oder unten, gut oder schlecht, Bewegung oder Stillstand.

Im Moment weiß ich nicht, ob ich hier in Montenegro Urlauber oder Einwohner sein möchte. Ich würde jetzt eher zum Urlauber tendieren, aber auch dafür will sich kein Gefühl einstellen. Ich bin irgendwie hier – nicht mehr und nicht weniger. Ich beobachte, ich lasse alles auf mich wirken, ich versuche, nicht voreingenommen zu sein und dabei herauszufinden, zu welcher Seite ich gehöre. Dabei geht es mir mehr um das Wohl der Kinder, weniger um das meine.  

Ich denke zurzeit oft an meine Freundin, die ich vor 15 Jahren kennengelernt habe. Ihre Eltern sind mit ihr und ihrer Schwester Anfang der 1990er Jahre aufgrund des Bürgerkriegs aus Bosnien geflüchtet und haben sich in der Mitte Deutschlands niedergelassen. Wie sie sich wohl gefühlt hat? In einer fremden Umgebung, ohne die Sprache zu sprechen, ohne Freunde, in dem Bewusstsein, komplett neu anfangen zu müssen? Darüber haben wir nie gesprochen. Und auch wenn der Krieg als solches an sich mit nichts vergleichbar ist, so sind wir gefühlstechnisch – Sie damals und ich heute – wohl in ähnlichen Situationen. Die Unterschiede zwischen uns beiden sind jedoch die, dass ich mir den Neuanfang selbst ausgesucht habe und immer die Möglichkeit habe, wieder zurück zu gehen. Aber ob ich dadurch im Vorteil bin, sei dahingestellt. Vielleicht führen das Bewusstsein über die Endgültigkeit einer Entscheidung zu der Motivation, die notwendig ist, um alles geben zu wollen und zu können und aus den Gegebenheiten sein Glück zu formen.

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Ankommen

Die letzten Tage haben wir alle vier genutzt um in Montenegro anzukommen – sowohl physisch als auch psychisch – und ich glaube, wir sind noch mitten dabei und noch lange nicht fertig. Es ist alles andere als einfach. Wir sind nicht nur Auswärtige oder Andersdenkende, wie wir es in Deutschland teilweise waren, sondern wir sind jetzt die Ausländer…Fremde… und das ist eine völlig neue Situation für uns. Dazu kommt, dass wir vier auf engem Raum wohnen, die Umgebung komplett anders ist und wir kein Wort von dem, was die Leute hier sagen, verstehen. Alltagsgegenstände, die für uns bisher normal waren, sind nicht vorhanden, weil sie entweder nicht gebraucht werden oder in ihrer Anschaffung zu teuer sind (z.B. ein Wasserkocher oder eine Kaffeemaschine). Es gibt viele Dinge, von denen wir sagen: „Ach hätten wir sie doch in Deutschland eingepackt!“ Aber so einfach holen, geht eben nicht. Improvisation ist der neue Leitgedanke. Wenn etwas fehlt, können wir es nicht wie oft üblich bei Amazon bestellen, sondern müssen einen Laden finden, der das hat, was wir suchen oder eine Alternative finden.

Es sind viele Dinge, mit denen wir nach und nach noch zurechtkommen müssen und auch auf einen Alltag mit einer gewissen Routine müssen wir noch hinarbeiten. Eines haben wir aber bisher schon geschafft – wir sind entschleunigt. Der Druck, der uns im deutschen Alltag die ganze Zeit umgeben hat, ist nicht mehr da und ich bin deutlich entspannter.