Freundschaften sind ein Phänomen!!!
Seit der ersten Klasse hatte ich immer viele Freunde. Das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, war nicht groß, aber insgesamt hatte es viele Kinder, die ich – obwohl neu zugezogen – fast alle kannte und mit denen ich mich meistens gut verstand. Damals war alles so einfach. Du mochtest jemanden und wenn du jemanden mochtest, spieltest du auch mit demjenigen und wenn du mit jemanden spieltest, warst du automatisch sein Freund. Damals habe ich mir über Freundschaften nicht die geringsten Gedanken gemacht. Freunde waren zu Genüge da. Die Welt war in Ordnung.
Mit dem älter werden kamen auch die ersten Kinder und der Fokus jedes Einzelnen verlagerte sich. Das Wiedersehen im Allgemeinen wurde schwieriger, aber immer noch machbar. Die Abstände zwischen zwei Treffen wurden größer, hingegen wurde das Ereignis an sich dann ausgelassener gefeiert. Ich nutzte jede Möglichkeit, Freunde zu besuchen oder sie zu mir einzuladen, so dass ich die freien Wochenenden des Jahres 2019 an einer Hand abzählen konnte. Es war mitunter stressig, aber Balsam für meine Seele, so oft Freunde und Verwandte um mich zu haben.
Dann kam das Jahr 2020 und eine abrupte Veränderung im Miteinander wurde uns allen auferlegt. Mit 2021 gingen wir in das zweite Jahr des Ausnahmezustandes. Und durch dieses Jahr 2021 wurde mein bisheriges Weltbild über Freundschaften bis in die Grundfesten erschüttert. Nichts war mehr so wie ich es kannte. Lieb gewonnene und langjährige Freunde wandten sich bewusst von mir ab. So wie ich war, war ich nicht mehr in Ordnung, zu kompliziert, zu unbequem, nicht gewollt. Diese Veränderungen zu akzeptieren war ein langer Prozess für mich, der bis heute andauert. Ich habe anfangs sehr gelitten und ich leide noch.
Demgegenüber steht aber auch die Tatsache, dass ich in den letzten Monaten so großartige und absolut wundervolle Menschen kennengelernt habe. Menschen, die mich so nehmen wie ich bin, die mich nicht auf meine Meinung reduzieren, denen ich am Herzen liege und die bewusst den Kontakt zu mir suchen. Es haben sich Menschen zu Freunde entwickelt, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie Freunde sein könnten. Diesen Menschen bin ich zutiefst dankbar. Ohne diese mit Liebe erfüllten Menschen hätte ich die schwere Zeit nicht überstanden. Sie haben mir, ob bewusst oder unbewusst, immer wieder Kraft gegeben, an mich zu glauben und weiter zu machen. Sie haben mir den Glauben an das Gute im Menschen zurückgegeben.
Schlussendlich hat mich dieses verhasste Jahr 2021 mehr über Menschen, Beziehungen, Verhalten und Kommunikation gelehrt als die vielen Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte, zuvor. Es hat mich auch zu der Erkenntnis gebracht, dass Freundschaften komplexe Wesen sind, die so zerbrechlich sein können, dass sie mit wenigen Worten zugrunde gerichtet werden. Gleichzeitig können sie auch so stark sein, dass sie die größten Hürden überwinden und für immer bestehen. Freundschaften folgen keinem Schema F, sie treffen einen manchmal völlig überraschend und können mit konventionellem Schwarz-Weiß-Denken nicht eingeordnet werden.