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Montenegro

The party is over

Es ist vorbei. Ende Gelände. Aus die Maus.

Wir brechen unser Projekt „Auswandern“ vorzeitig und kurzfristig ab. Wir verlassen Montenegro und fahren in den nächsten Tagen zurück nach Deutschland.

Warum?

Einzeln betrachtet sind die Gründe dafür eher von geringer Wertigkeit aber zusammengenommen haben sie so viel Gewicht, dass sie uns dazu bringen, aus unserem Traum vorzeitig aufzuwachen.

Zum einen ist es die deutsche Bürokratie, die uns Steine in den Weg legt. Seit über 3 Monaten warte ich auf mein polizeiliches Führungszeugnis. Was ich zum Zeitpunkt der Beantragung nicht wusste, war, dass der Antrag – den ich online gestellt habe – von ausländischer Seite beglaubigt sein muss um bearbeitet werden zu können. Dass diese Beglaubigung fehlt, wurde mir nicht etwa in dem bereits gelaufenen Email-Verkehr mitgeteilt, sondern erst nach telefonischer Nachfrage vor ca. 1 Woche. Ohne beglaubigtes und apostilliertes (!!!) Führungszeugnis kann ich keine Aufenthaltserlaubnis beantragen und bekomme auch keine Arbeitserlaubnis. Und ohne die ist es mir nicht möglich, für eine deutsche Firma zu arbeiten und Steuern abführen zu können. Somit habe ich zwar einen neuen Job, bekomme aber im Moment kein Geld dafür.  

Der zweite Grund ist die Motivationslosigkeit und Langeweile bei den Kindern. Diese beiden Gründe hören sich vielleicht banal an, lassen sich aber nicht ohne Weiteres lösen. In den letzten fünf Monaten war unser Zuhause eine 70qm Wohnung in einem ärmlichen Stadtteil in Kotor, der zwar den Strand fast vor der Tür hat, viel mehr aber nicht – nur Häuser, zwei vielbefahrene Straßen, kein Spielplatz, keine großen Grünflächen. Die Kinder können nicht einfach rauslaufen und andere Kinder zum Spielen treffen – von der Sprachbarriere erst mal abgesehen, die generell immer dazu kommen würde. Wir müssen also für jegliche Abwechslung das Auto nehmen und etliche Stunden investieren um uns und den Kindern in irgendeiner Hinsicht Aktivitäten zu bieten. Da Ronny und ich mittlerweile beide arbeiten, haben wir diese Zeit nicht und die Kinder müssen sich den Vormittag über selbst beschäftigen. Und da kommen sie an ihre Grenzen, denn rausgehen fällt aus und in der Wohnung steht ihnen nicht viel zu Verfügung. Somit ist ihnen oft langweilig und dadurch kommt ihnen ihr allgemeine Motivation auch immer mehr abhanden. Die Schule hier in Montenegro beginnt erst im September. Bis dahin bräuchten wir eine Kinderbetreuung, die es hier aber nicht gibt. Hinzu kommt, dass die Kinder die Sprache nicht lernen wollen, ihre Großeltern vermissen, keine Freunde zum Spielen und erzählen haben und lieber heute als morgen wieder zurück nach Deutschland wollen.

Durch diese Gründe und das zufällige Glück, dass wir bereits ein Haus zum Mieten gefunden haben, haben wir die endgültige Entscheidung getroffen, wieder zurück zu fahren und unser „neues“ Leben in der Altmark zu beginnen. Wir wohnen in der Nähe unserer Eltern – was ich mir schon viele Jahre gewünscht habe, aber durch meine bisherige Arbeit nie möglich war. Die Kinder werden ab Ende August wieder zur Schule gehen und wir geben unserem Alltag neue Strukturen.

Und wie geht´s dann weiter?

Das überlege ich mir bis zum nächsten Beitrag…

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Auf zu neuen Ufern

Seitdem wir aus unserem Kurzurlaub im Durmitor Nationalpark zurückgekommen sind, ist es beitragsmäßig bei mir ungewöhnlich still geworden. Nun, das hatte verschiedene Gründe. Zum einen waren wir alle die ganze letzte Woche gesundheitlich angeschlagen, besonders Ronny und mich hat es ganz schön umgehauen. Mehrere Tage ging bei uns gar nichts mehr und wir haben mit Ach und Krach die Zeit vom Aufstehen bis zur Schlafenszeit überstanden. Zum anderen hatte ich das erste Mal seit sechs Monaten einfach nichts zu schreiben – worüber ich selbst mehr als erstaunt war. Bei uns passierte ab Mitte Juli nichts Erwähnenswertes, die Tendenz ging eher zur Langweiligkeit, bedingt durch den normalen Alltagskram.

Naja, und gerade als ich so bei mir dachte, dass ich doch irgendwie eine neue Aufgabe bräuchte, da kam sie ganz spontan und überraschenderweise um die Ecke – und seit heute habe ich einen neuen Job als Content Creatorin! Darüber bin ich mega glücklich denn ich kann meiner Kreativität freien Lauf lassen, viel Schreiben und damit Geld verdienen. Im Grunde komplett gegensätzlich zu dem, was ich die letzten 15 Jahre gemacht habe.

Dabei fällt mir ein Satz von André Gide ein:

„Man entdeckt keine neuen Teile der Welt, ohne den Mut zu haben, bekannte Küsten aus den Augen zu verlieren.“

Ich bin sehr gespannt auf die kommende Zeit!

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Neue Sichtweisen

Nach einem fünftägigen Aufenthalt im Durmitor Nationalpark sind wir gestern wieder nach Kotor zurückgekommen – mit neuen Eindrücken, neuen Erlebnissen und neuen Sichtweisen.

Die Landschaft im Durmitor Nationalpark ist unglaublich schön und in vielen Teilen noch unberührt, so scheint es. Die weiten, meist hügeligen Gras- und Waldflächen sind von grandiosen Bergen umgeben, einer den anderen in Anmut und Dimension übertreffend. Hier und da stehen einzelne Häuser und zwischendurch verstecken sich in den Tälern Seen, die zum Erfrischen und Staunen einladen. Die Straßen sind eng, aber gut ausgebaut und führen kilometerlang über die Berge oder um sie herum. Hinter jeder Kurve wartet ein neuer faszinierender Ausblick auf die Natur. Kühe, Schafe oder Ziegen, die die Straßen kreuzen, sind keine Seltenheit und wenn man Glück hat und die Augen aufhält, kann man sogar Wildpferde in ihrem natürlichen Lebensraum entdecken. Es gibt unendlich viele Wanderrouten, die einen durch die Landschaft führen, hin zur Einsamkeit, wer sie denn sucht. Ich glaube, selbst nach vier Wochen Urlaub dort, hätte man trotzdem noch nicht alles erkundet. Es gibt so viel zu entdecken und jede Entdeckung lässt einen nur noch mehr staunen.

Auch mental bin ich zu neuen Sichtweisen gekommen. In den ersten Tagen unserer Auszeit hatte ich viel Kontakt mit einer mir liebgewonnen Freundin aus Studienzeiten, der ich für ihre Hilfe sehr dankbar bin. Mit ihr habe ich viel über meine Ängste und Sorgen gesprochen, die mich seit ein paar Wochen plagen. Sie hatte, wie ich finde, ein objektives Bild der Gesamtsituation und konnte meine Gefühle und Gedanken sehr gut nachvollziehen. Durch ihre Erklärungen brachte sie mich dazu, manche Dinge von einem anderen Blickwinkel zu betrachten und sie dadurch besser verstehen zu können. Sie bestärkte mich in meinem Selbstvertrauen und nannte mir noch ein paar Tools, die mir helfen können, (mental) weiter zu kommen und meine „Päckchen“ loszuwerden. Die daraus entstandene kleine To-Do-Liste werde ich zeitnah in Angriff nehmen und ich bin gespannt, welche Erfahrungen ich mache.

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Dämonen

Wieder in Montenegro gelandet, hat es ein paar Tage gedauert bis ich auch mental wieder in Montenegro angekommen bin. Gedanklich saß ich noch in Deutschland fest. Ich bereute es, dass ich nicht einen späteren Rückflug gebucht hatte, ich wollte wieder zurück, ich wollte meine Eltern nicht allein lassen. Die alten Selbstzweifel und Schuldgefühle waren wieder da – die letzten Monate versteckt unter der Abenteuerlust, den neuen Eindrücken und der Abwechslung, warteten sie einen schwachen Moment von mir ab um mich zu packen und Besitz von mir zu ergreifen. Im Gepäck hatten sie die Verlustangst dabei, die dominierend den Ton angab und dabei war, mich in den Abgrund zu ziehen.

Da saß ich nun, gefangen von den Dämonen in meinem Kopf, die mich nicht kampflos aufgeben wollten. Ich kämpfte hart und ich kämpfte lange bis ich sie endlich vertreiben konnte. Vertrieben sind sie wohl nicht, sondern traten erst mal nur einen vorläufigen Rückzug an. Sobald ich wieder Schwäche zeige, greifen sie mich erneut an.

Seit über einer Woche bin ich wieder zurück aus Deutschland und habe maximal annähernd den (mentalen) Zustand erreicht wie ich ihn vor meiner Abreise hatte. Damit hätte ich nicht gerechnet und das ruft mir in Erinnerung, dass der Weg ja das Ziel ist. Auf meinem zukünftigen Weg werde ich wohl noch einige Schlachten austragen müssen um den Krieg gegen meine Dämonen zu gewinnen.

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Resümee der letzten 11 Wochen

In zwei Tagen fliege ich mit den Kindern nach Deutschland um meine Eltern zu besuchen und automatisch ziehe ich ein Resümee aus der Zeit hier in Montenegro. Wir leben jetzt seit knapp 11 Wochen hier…wie habe ich die Zeit eigentlich genutzt?

Vor unserer Reise habe ich bzw. haben wir erst einmal den Mut aufgebracht, alle Zelte in Deutschland abzubrechen, unsere Komfortzone zu verlassen und uns bewusst zu entscheiden, in einem uns unbekannten Land zu ziehen und den Status „fremd“ anzunehmen. Diesen Prozess haben wir in diesem Ausmaß noch nie durchlebt und wir haben den Schweregrad unterschätzt. Dennoch haben wir diese Schwierigkeit gemeistert und ich kann mich jetzt viel besser in eine Person hineinversetzen, die irgendwo als Fremde einen Neubeginn wagt.  

Ich bin gerade dabei, die montenegrinische Sprache zu lernen und stelle mich dabei gar nicht so dumm an. Ich lerne sie nicht aus Büchern oder aus dem Internet, sondern unsere Nachbarin bringt sie mir bei. Sie ist ein herzensguter Mensch und wir haben schnell Freundschaft geschlossen. Wir treffen uns meistens abends und weil wir uns in vielen Sachen ähneln, finden wir auch immer Dinge über die wir zusammen lachen können. Sie erzählt mir nebenbei viel über das Land und die Menschen, wodurch ich ein besseres Verständnis und eine klarere Sicht auf die Dinge um mich herum bekomme.

Ich habe vor unserer Reise meine eigene Homepage erstellt und veröffentliche seitdem regelmäßig Beiträge, in denen ich über das Land, unser Leben und mich schreibe. Auch wenn es eine einfache Homepage ist, freue ich mich über jeden Artikel, um dem ich sie erweitern kann. Das Schreiben macht mir Spaß und ich habe es sogar geschafft, mit einem von mir geschriebenen Text, Geld zu verdienen. Darauf bin ich wirklich stolz und könnte mir sogar vorstellen, das zu erweitern.

Mittlerweile backe ich für uns jeden zweiten Tag Brot – eines unserer Grundnahrungsmittel. Ich backe es nicht mit Hefe, sondern mit Sauerteig. Das Ansetzen des Sauerteigs hat mich viele Versuche gekostet. Weil ich aber nicht aufgegeben wollte, hat es irgendwann geklappt und somit können wir jeden Tag Brot essen, was dem aus Deutschland schon sehr nahekommt.

Durch die Erlebnisse der letzten 11 Wochen bin innerlich ruhiger geworden. Ich konnte den deutschen Stress von mir abschütteln und mich der montenegrinischen Gelassenheit und Lebensweise annehmen. Ich habe mich verändert – glücklicherweise zum Positiven. Gemerkt habe ich es unteranderem an eine gestrige Situation: Ich wollte mit einem Löffel Eis aus einer Dose in eine Schale portionieren. Da das Eis noch sehr hart und der Löffel aus einem sehr weichen Metall war, bog sich der Stiel des Löffels merklich um. Noch vor 3 Monaten hätte ich den Löffel wutentbrannt in die Ecke geschmissen, gestern jedoch musste ich herzhaft darüber lachen und die anderen stimmten meinem Lachen mit ein. Diese Situation zeigt mir, dass ich mich auf dem richtigen Weg befinde. Ich merke zwar, dass ich noch das eine oder andere Päckchen mit mir rumtrage, aber ich hoffe, dass ich diese auf meinem zukünftigen Weg, wohin er mich auch führt, auch noch loswerde…

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Was passiert hier?

In den letzten Tagen habe ich gemerkt, dass ich allmählich entspannter werde, ruhiger, ausgeglichener. Ich fühle mich ganz anders als noch vor zwei Monaten. Irgendwas passiert doch hier gerade mit mir. Mutiere ich, verwandele ich mich? Was ist das? Was geschieht hier mit mir???

Mein Tag startet ruhig und während des Frühstücks überlegen wir, wie wir unseren Tag gestalten möchten und ich erlebe immer öfter, dass ich abends sage: „Heute war ein schöner Tag!“ Ich genieße das Wetter, das Meer und die Nachmittage mit den Kindern am Strand. Ich finde Zeit, Dinge für mich zu machen, und habe auch Lust dazu, ohne mich von äußeren Einflüssen stressen lassen zu müssen. Manchmal ertappe ich mich sogar dabei, wie ich zwischendurch einfach mal lache. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal einfach so ein Lächeln auf den Lippen hatte.

Ich finde es herrlich, wenn der Tag ausklingt, die Stadt ruhiger wird und die Nacht hereinbricht, überall die Lichter angehen und die Luft um mich herum angenehm warm bleibt. Das ist ein Moment, den ich zu meinen Glücksmomenten zähle und die erlebe ich in letzter Zeit öfter. Und in solchen Momenten empfinde ich jetzt eine unheimlich große Dankbarkeit. Und so langsam wird mir klar, dass ich eigentlich auch wirklich dankbar sein kann. Dafür, dass diese Auszeit möglich ist und ich all das erleben darf. Dafür, dass ich Zeit zum Schreiben habe, zum Ausprobieren und zum Bücherlesen. Dafür, dass ich mich mit mir selbst befassen kann und entdecke, was mir wichtig ist und was mir Spaß macht. Dafür, dass ich bisher tolle neue Menschen kennengelernt habe. Dafür, dass ich endlich mehr Zeit mit den Kindern verbringen kann. Ach, mir würden noch hundert Sachen mehr einfallen…

Doch das wichtigste für mich ist dabei, dass mein Leben wieder Spaß macht und nicht mehr nur aus getaktetem Abarbeiten von Pflichtaufgaben besteht. Allein dafür hat sich das Auswandern schon gelohnt.

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Der 5-Jahres-Plan

Heute ist der 26.05.2022 – Christi Himmelfahrt – zumindest in Deutschland, hier in Montenegro gibt es diesen Feiertag nicht. In Deutschland ist dieser Tag auch besser bekannt als Männertag. Im Allgemeinen ist es so üblich, dass die Männer sich in Gruppen zusammenfinden und gemeinsam einen Tag ohne Frauen verbringen. In den letzten Jahren haben wir an diesem Feiertag aber meistens als Familie zusammen irgendetwas Schönes unternommen. Und ich kann mich noch ganz genau an den Männertag 2021 erinnern. Das Wetter war eher kühl und regnerisch, trotzdem haben wir uns am frühen Nachmittag mit einer befreundeten Familie zum Grillen bei uns getroffen. Es war ein sehr schöner Tag, die Kinder haben miteinander gespielt, wir haben gelacht, viel geredet und Pläne für die kommenden Monate geschmiedet. Und keiner von uns hätte im Entferntesten gedacht, dass wir ein Jahr später nicht mehr dort wohnen werden, sondern in einem kleinen Land namens Montenegro. Unsere Pläne vor einem Jahr sahen definitiv anders aus. Mein Plan war es eigentlich, dort noch länger wohnen zu bleiben, die Vorteile von Freunde, Sprache und Komfort weiterhin genießen und immer noch glücklich meiner Arbeit nachgehen zu können. Doch dann kam alles ganz anders und vor allem völlig ungeplant – und wieder sehe ich, Langzeit-Planungen sind doch absoluter Bullshit! Zumindest in unserer Familie, wie die Erfahrungen aus den letzten 10 Jahre zeigen.

Im Jahr 2017, als ich wegen eines Bewerbungsgespräches in Lübeck war, hat mich mein zukünftiger Chef gefragt, wo ich mich in 5 Jahren sehe. Damals hatte ich ganz klare Vorstellungen und konnte ihm diese Frage ohne Probleme beantworten. Und wenn ich sehe, wo ich wirklich bin, denke ich mir, diese Frage sollte aus dem Bewerbungsfragenkatalog gänzlich gestrichen werden. Man kann Idealvorstellungen äußern, intensiv daraufhin arbeiten, alles dafür tun aber die Zielerreichung hängt letztendlich nicht nur von einem selbst ab. Denn in dieser jetzigen schnelllebigen Zeit kann doch keiner auch nur ahnen was nächsten Monat ist, geschweige denn in einem Jahr. Die Eckpunkte unseres Alltags können sich so schnell ändern, dass man in der Lage sein muss, ebenso schnell zu reagieren und notfalls sein ganzes Leben umzustellen – Langzeit-Pläne hin oder her. Es trifft sicher nur auf einige Menschen und Familien zu, auf jeden Fall auf uns – ob leider oder zum Glück wage ich im Moment nicht zu entscheiden.

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Woche 7

Mittlerweile leben wir fast 7 Wochen in Montenegro, wovon wir annähernd vier Wochen auf das Haus unserer deutschen Bekannten aufgepasst haben. Für uns alle waren diese vier Wochen eine sehr schöne und erholsame Zeit, trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Fürsorge der Tiere.

Mein Tief von vor 1,5 Wochen habe ich überwunden und so ein bisschen hat sich wieder ein „Alltag“ eingeschlichen, der sich wahrscheinlich ändern wird, wenn wir am Sonntag wieder zurück in unsere Wohnung nach Kotor ziehen.

Es ist morgens schon so warm, dass wir ohne Überlegungen kurze Hose und T-Shirt anziehen können – das ist das, was wir vor 10 Jahren in Vietnam schon mitgemacht haben und seitdem immer wieder wollten. Und jetzt haben wir es – schlechte Laune aufgrund von Regen werde ich wohl so schnell nicht wieder bekommen…

Vormittags machen wir mit den Kindern Home Schooling und nachmittags machen wir kurze Ausflüge (z. B. zum Baden an den Strand) oder bleiben zu Hause um Sachen zu machen worauf wir gerade Lust haben (z. B. eine extra Runde mit den Hunden drehen). Und ich bin erstaunt wieviel Zeit ich doch noch für mich selbst zur Verfügung habe – ich habe Zeit um Bücher zu lesen, zu backen, neue Rezepte auszuprobieren, zu schreiben, Serbisch zu lernen, zu joggen, … und es bleibt trotzdem immer noch viel Zeit für die Kinder übrig. Ich bin überwältigt wie lang doch ein Tag sein kann und wie bewusst ich ihn füllen und erleben kann. Diese Erfahrung hätte ich in Deutschland womöglich nie gemacht. Gerade deswegen bin ich für diese Erfahrung auch sehr dankbar und ich hoffe sehr, dass es nur eine von vielen sein wird, die ich in den nächsten Monaten noch sammeln werde.

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Ursachenforschung

Vor ca. drei Tagen hat mich eine komische Stimmung befallen. Ich würde sagen, auf mir liegt eine Art Melancholie. Sie kam einfach aus dem Nichts. Abends als ich ins Bett gegangen bin, war alles noch gut und als ich morgens aufwachte, war sie da, einfach so. Seitdem überlege ich wo sie herkommt und noch mehr grübele ich darüber nach wie ich sie wieder loswerde.

Ich hatte solche Stimmungseinbrüche auch schon öfter in Deutschland aber da wusste ich sofort wo sie herkamen, viele Möglichkeiten dafür gab es ja nicht. Meistens lag die Ursache darin, dass ich mich in den Tagen zuvor entweder physisch oder psychisch verausgabt habe und mein Körper mir dadurch signalisierte: „Hallo Jeannette, hier spricht dein Körper! Falls du es vergessen haben solltest, ich bin auch noch da und ich brauche jetzt eine Pause. Schalte mal einen Gang runter! Und fang am besten jetzt gleich damit an!“ An dem Tag, an dem ich dieses überdeutliche Signal erhalten hatte, lief dann bei mir auch gar nichts mehr. Ich hatte zu nichts Lust und konnte mich zu nichts aufraffen. Ich wollte niemanden sehen und wollte einfach nur meine Ruhe haben, und am besten auch allein sein. So gut ich konnte, ging ich dann diesen für mich überlebensnotwendigen Bedürfnissen nach und spätestens nach zwei Tagen war ich wieder ganz die Alte. Ich war wieder energiegeladen, hatte Lust was zu unternehmen oder rumzuwerkeln und konnte auch wieder lachen.

Dieses Mal sind die Symptome ähnlich aber doch irgendwie anders. Trotz allgemeiner Lustlosigkeit schaffe ich es dennoch, haushaltstypische Dinge zu erledigen oder spazieren zu gehen. Auch wenn ich mit den Kindern zusammen bin, ist es fast normal, nur dass ich eben ruhiger bin. Was mir aber wirklich Sorgen bereitet, ist diese tiefe Traurigkeit, die ich gerade empfinde. Diese dominierende Traurigkeit lässt mich gerade überhaupt kein bisschen Freude empfinden und legt mich in manchen Situationen völlig lahm.

Aber das geht doch nicht: Ich kann doch in einer der schönsten Gegenden der Welt nicht eines der schlimmsten Tiefs habe – das ist doch absolut paradox!!!

Und jetzt kommt die alles entscheidende Frage: Was ist die Ursache dafür???

Überarbeitung? Kann es nicht sein! Mein Körper konnte in den letzten Wochen wirklich seine Kräfte sparen. Außer ein paar Kilometer Joggen musste er keine außergewöhnlichen Anstrengungen vollbringen.

Langeweile? Glaube ich nicht! Das habe ich mir doch immer gewünscht. Deswegen wollte ich doch auch hierherkommen, damit ich endlich mal wieder Langeweile habe. Das hatte ich doch schon in meinem letzten Beitrag ausführlich thematisiert.  

Fehlende Struktur im Alltag? Eher unwahrscheinlich! Dadurch, dass wir mit den Kindern seit ein paar Wochen vormittags Schule machen, hat unser Alltag wieder mehr an Struktur gewonnen. Das finde ich auch wirklich gut.

Berufliche Perspektivlosigkeit? Könnte sein! Aber eigentlich sind wir doch hier im Urlaub, da muss ich doch nicht übers Geld verdienen nachdenken. Das kann ich doch immer noch machen, wenn die Zeit gekommen ist. Das Thema „Ansprüche“ hatte ich doch schon.

Zu wenig menschliche Kontakte? Auch das könnte sein. Ich bin gern mit Menschen zusammen und ich unterhalte mich auch gern. Das kam in den letzten Wochen auf jeden Fall zu kurz. Die Anzahl unserer deutschen Freunde kann ich an einer Hand abzählen und einheimische Freunde habe ich noch keine, weil es mir aufgrund fehlender Sprachkenntnisse nicht möglich ist, eine Unterhaltung zu führen.

Heimweh? Das könnte Ursache Nummer drei sein! Ich vermisse meine Eltern schon sehr. Üblicherweise war es bisher so, dass wir uns mindestens einmal im Monat gesehen haben. Manchmal hat es nicht geklappt, aber manchmal hingegen sahen wir uns auch öfter. Und wenn ich zurückrechne, ist es am heutigen Tag über fünf Wochen her, dass wir uns zum letzten Mal gesehen haben. Telefonieren, auch wenn es Videotelefonie ist, ist definitiv kein adäquater Ersatz für ein Wiedersehen – was nicht nur für meine Eltern gilt, sondern auch für meine zurückgelassenen Freunde. Nichts kann ein persönliches Treffen ersetzen, gar nichts.

Und was mache ich jetzt??? Welche mögliche Ursache soll ich zuerst bekämpfen und vor allem wie? Sollte ich jetzt alle mir verbliebenen Kräfte sammeln und in die Offensive gehen oder lieber abwarten, in der Hoffnung, dass die Melancholie so geht wie sie gekommen ist – plötzlich und von ganz allein? Ehrlich gesagt, bin ich gerade ratlos…

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Das Hamsterrad in meinem Kopf

Ab dem Zeitpunkt als unsere Tochter Annabelle geboren wurde, wurde das Wort „Langeweile“ automatisch und ohne jegliches Zutun aus meinem persönlichen Wortschatz gestrichen, ganz einfach so, von einer Minute auf die nächste. Ich kann mich nicht daran erinnern wann ich das letzte Mal Langeweile hatte. Ich meine nicht diese Art von überschüssiger Zeit, die beim Warten entsteht oder die Zeitspanne zwischen zwei Aktivitäten, wenn die eine Sache noch nicht fertig ist und die andere noch nicht begonnen werden kann. Nein, ich meine wirklich und wahrhaftig bewusst erlebte Langeweile.

Denn wenn ich die letzten Jahre Revue passieren lasse, erinnere ich mich an keinen Tag, der nicht durchgetaktet war. Wir hatten unsere To-Do´s, die abgehakt werden mussten und unsere routinierten Abläufe, die uns dabei halfen. Freie Zeit gab es kaum und wenn, dann habe ich versucht, auch diese vollständig auszufüllen, damit ich sie ja nicht ungenutzt lasse oder gar verschwende. Im Grunde genommen lag meine tägliche Hauptaufgabe darin, zu planen, zu organisieren und mein Zeitmanagement zu optimieren unter zu Hilfenahme vorhandener Ressourcen und Werkzeuge. Wichtig dabei war, für alle Vorhaben möglichst einen Plan B in der Tasche zu haben falls Plan A scheiterte. Warten war für mich die Hölle, denn Zeit war für mich das höchste Gut und durch nichts zu ersetzen oder wieder gut zu machen. Kein Wunder also, dass ich den Tag als solches nie wirklich bewusst erlebt habe, vom Genießen war ich Lichtjahre entfernt. Ich empfand den Alltag oft nur noch als anstrengend. Dass ich mich bildlich gesehen in einem Hamsterrad befand und mir dieses alles andere als guttat, habe ich in den letzten beiden Jahren erst so richtig wahrgenommen. Klar habe ich an der einen oder anderen Stellschraube gedreht, um das Rad für mich angenehmer oder langsamer zu machen, aber ich war trotzdem immer noch Teil dieses und alles andere als glücklich.

Nun bin ich seit über vier Wochen in Montenegro und es ist erstaunlich, dass ich mit dem Wegzug aus Deutschland zwar aus dem Alltagskarussell aussteigen konnte, aber trotzdem das Hamsterrad in meinem Kopf bis jetzt immer noch nicht losgeworden bin. Ich befinde mich immer noch in dem Modus, meine vorhandene Zeit optimal ausnutzen zu wollen und meinen Tag von der Uhr bestimmen zu lassen. Es erschreckt mich, dass ich mich nicht einfach mal hinsetzen kann um die Aussicht zu genießen oder einen Moment bewusst zu erleben. Und ich fühle ich unwohl, wenn Langeweile aufkommt, weil ich mit ihr nicht umgehen kann. Ich merke, dass viele Jahre im Hamsterrad nicht in wenigen Wochen abzuschütteln sind und muss mir wohl eingestehen, dass ich diesbezüglich geduldiger mit mir sein muss und mir bis zum endgültigen Ausstieg aus dem Hamsterrad wohl leider nur das Abwarten bleibt.