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Mein stummer Begleiter

In den letzten Jahrzehnten war ich recht erfolgreich darin, den Tod auf Abstand zu halten. Nachdem er mir vor gut 30 Jahren so übel mitgespielt hatte, wusste er, dass mit mir nicht gut Kirschen essen ist und hat sich ferngehalten. Außer in ein paar Momenten, in denen er sich in meinem Umfeld gezeigt hat, habe ich wenig von ihm mitbekommen.

Dann begann ich letztes Jahr mit der Hospizbegleiter-Ausbildung und bekomme im Nachhinein so langsam das Gefühl, dass es für ihn der Augenblick war, sich wieder in mein Leben zu schleichen. Nicht auf brutale Art, indem er mir mal wieder geliebte Menschen ganz plötzlich entreißt – eher auf die leise Weise, gewissermaßen durch die Hintertür. Sodass ich ihn nicht sehe, aber weiß, dass er da ist. Irgendwie werde ich ihn nicht mehr los.

Vor ein paar Wochen habe ich einen Zweitjob in einem Bestattungshaus angenommen und kümmere mich seitdem hauptsächlich um das Versenden von Traueranzeigen und Danksagungen. Somit ist der Tod bei mir auf dem Computerbildschirm fast jeden Tag präsent.

Dann gab es vor kurzem einen Trauerfall in unserer Familie und ich war seit langer Zeit wieder auf einer Beerdigung. Irgendwie war ich emotional gar nicht so stark betroffen, wie ich befürchtete. Vielleicht lag es an der Tatsache, dass ich keine direkte Verwandte war. Vielleicht lag es aber auch daran, dass es mir mittlerweile leichter fällt, mit einem Verlust umzugehen.

Ungefähr vor zwei Wochen habe ich zusätzlich meine erste Begleitung bekommen. Vor dem Tag hatte ich mich ziemlich gefürchtet, aber irgendwann musste es ja passieren – dafür habe ich ja schließlich auch die entsprechende Ausbildung gemacht. Nur wenn ich eine Begleitung annehme, kann ich auch wissen, ob ich die Sache von Anfang bis zum Schluss durchstehen kann. Ohne Praxis ist die Theorie nicht viel wert.

Es handelt sich um eine ältere Dame, die vor ein paar Jahren eine Krebsdiagnose bekommen hat und bisher gut allein zurechtkam. Nun hatte sich ihr Gesundheitszustand aber so verschlechtert, dass sie in ein Heim gehen musste und ihr jetzt nichts anderes übrigbleibt, als auf ihr Lebensende zu warten. Diese Wartezeit möchte ich ihr ein wenig verschönern, indem ich sie einmal pro Woche besuche und ihr meine Zeit und Aufmerksamkeit schenke.

Im Moment ist das alles überhaupt gar kein Problem für mich. Die Dame ist sehr nett, noch sehr klar im Kopf und es ist sehr einfach, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Wir reden viel, wir lachen auch und das Sterben scheint noch so weit weg.

Dann habe ich vor ein paar Tagen rein zufällig eine Dokumentation über einen jungen Mann gesehen, der mitten im Leben steht, viele Freunde hat und dann zum dritten Mal an Krebs erkrankt. Dieser Film zeigt seine letzten Monate – von der aussichtslosen Krebsdiagnose bis zu seinem Tod – und wie er dabei zum Glauben an Gott findet. Der Film war richtig krass und berührt mich immer noch sehr.

Diese ganzen Begegnungen mit dem Tod und seine momentane Allgegenwärtigkeit macht was mit mir. Ich merke, wie es in mir arbeitet und meine Sicht auf die Dinge verändert. Ich denke viel darüber nach, auch über meinen eigenen Tod, und komme wieder zu der Frage, was der Sinn des Lebens ist.

Ich frage mich, was das Leben eigentlich ausmacht, was wirklich zählt und was übrigbleibt, wenn man nicht mehr da ist.

Wie kann ich den Wirkungsgrad meines Lebens erhöhen?

Um am Ende sagen zu können: Ich habe vielleicht nicht viel geschafft, aber das, was ich geschafft habe, hat Substanz und ich kann mit Stolz behaupten, dass sich mein Leben gelohnt hat und ich es sinnvoll genutzt habe.

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Freunde kommen, Freunde gehen

In meiner Kindheit hatte ich viele Freunde. Dieser schöne Umstand änderte sich auch nicht als ich älter wurde. Meine Schulzeit ging und meine Studentenzeit kam. Auch diese aufregende Zeit ging nach vier Jahren zu Ende und ich stieg in den Arbeitsalltag ein. Es begann die Zeit der Umzüge – und es kamen etliche Umzüge. Doch aus jeder kleinen Etappe meines Lebens nahm ich ein Stück mit und zog damit weiter… wertvolle Erinnerungen und gute Freunde begleiteten mich.

Im Laufe der Jahre wurde mein Telefonbuch immer dicker und ich versuchte, mit jedem einzelnen meiner Freunde in Kontakt zu bleiben und diesen auch regelmäßig zu pflegen. Das gelang mir ganz gut bis unsere Familie wuchs und dazu entgegengesetzt meine freie Zeit schwand. Dennoch versuchte ich alles, um Freundschaften nicht einschlafen zu lassen, weil sie mir schon immer wirklich wichtig waren. Die Konsequenz daraus war, dass wir im Jahre 2019 von 52 Wochenenden 40 verplant waren.

Die beiden darauffolgenden Jahre führten dazu, dass mein Weltbild über Freundschaften komplett auf den Kopf gestellt wurde. Das Jahr 2022 verpasste meinem „Studium der Freundschaftswissenschaften“ dann den letzten Schliff und seitdem ist mein Verständnis von dem Begriff „Freundschaft“ ein völlig anderes geworden.

Mark Forster singt in seinem Lied „Sowieso“ folgende Textpassage:

                „Ich schätze Wegbegleiter,

                auch wenn alles seine Zeit hat.

                Mal 11 Freunde, dann

                doch „One-on-one“ Karate Fighter.“

Diese Zeilen habe ich früher nicht verstanden. Warum sollten meine Freunde auch plötzlich nicht mehr da sein?! Auch wenn es lange gedauert hat und meine Erfahrungen teilweise sehr schmerzvoll waren – jetzt endlich verstehe ich seine Zeilen.

Die meisten meiner Freunde haben sich meist unbemerkt in mein Leben geschlichen. Von heute auf morgen waren sie einfach da. Manche von ihnen haben sich auch genauso leise wieder daraus zurückgezogen, ohne dass ich den wahren Grund dafür je kennen werde.

Einige von ihnen sind seit vielen Jahren an meiner Seite. Das macht mich sehr glücklich und ich bin unendlich dankbar dafür. Wir gehen zusammen ein Stück unseres gemeinsamen (Lebens-)Weges und genießen die Zeit miteinander.

Doch ab und zu kommt ein Abschied, auch von langjährigen Freunden. Mal verläuft er plötzlich, mal schleichend. Dann ist es an der Zeit, dass sich unsere Wege trennen. In dem Moment ist es für mich sehr traurig aber ich weiß, es geht nicht anders. Was mir bleibt, sind die schönen Momente, die wir zusammen erlebt haben.

Mein Weg und der meiner Freunde ist zu allen Seiten offen, jeder kann die Richtung ändern, wann immer er will und es für richtig hält. Niemand wird gezwungen, mit mir weiterzugehen. So kommt es eben, dass ich meinen Weg mal mit sehr vielen Freunden teile oder aber ihn auch nur mit weniger von ihnen weitergehe.

Weil heute für mich nicht mehr die Anzahl meiner Freunde zählt, sondern nur noch die Qualität unserer Freundschaft, habe ich mich von einigen meiner „Freunde“ virtuell verabschiedet indem ich ihre Kontaktdaten aus meinem Handy gelöscht habe. Die Zeit dafür war gekommen und ich fühlte mich hinterher freier. Trotzdem erinnere ich mich gern an unsere gemeinsamen Momente und diese schönen Erinnerungen werden für immer in meinem Herzen bleiben.

Mein Freundeskreis ist dadurch kleiner geworden – und wird in Zukunft wohl noch mehr schrumpfen – aber das ist ok. Jetzt ist es für mich ok, weil ich weiß, dass alles seine Zeit hat, auch Freundschaften. Der freie Platz in meinem Handy ist nun für alte und neue Wegbegleiter reserviert, die sich vielleicht in Zukunft (wieder) zu mir gesellen. Ich freue mich über jeden, der mit mir ein Stück des Weges geht und mir damit neue wunderbare Erinnerungen schafft.

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Alles hat seine Zeit

Vor wenigen Wochen ist ein ganz besonderer Mensch wieder in mein Leben getreten – ganz unerwartet, mit leisen Schritten und wohltuender Herzenswärme. Dieser Mensch war vor ca. 29 Jahren für einen Wimpernschlag Teil meines Lebens und verschwand danach leise und unauffällig. Er war seitdem immer da aber nie mehr präsent.

Sofia* (* Name geändert) war ein ganzes halbes Jahr vor dem Tod meines Bruders seine Freundin. Für beide war es Liebe auf den ersten Blick und so innig wie sie ihn zu Lebzeiten geliebt hatte, so intensiv hatte sie nach seinem Tod um ihn getrauert. Nach dem Unfall kam sie uns noch regelmäßig besuchen, irgendwann fühlte es sich nicht mehr gut an und sie blieb unserer Familie fern. Seitdem hatten wir uns nur noch einmal flüchtig gesehen.

Neulich hatte sie meinen Artikel „Pandoras Büchse“ gelesen und sich daraufhin bei mir gemeldet. Wir trafen uns dann und hatten unser allererstes richtiges Gespräch. Zwischen uns gab es gleich eine angenehme Vertrautheit. Wir redeten miteinander, als wenn wir uns schon ewig kennen würden und uns erst gestern voneinander verabschiedet hätten.

Anfangs sprachen wir über allgemeine Sachen, aber dann kamen wir ganz automatisch auf das Thema, das seit Jahrzehnten unsere Gemeinsamkeit darstellte. Sie erzählte mir Dinge, die ich vorher noch nicht wusste und nach denen ich jetzt erst anfing zu fragen. Wir gaben dem anderen Einblick in unsere Gefühle und Gedanken, tauschten Erinnerungen aus, lachten und weinten. Stück für Stück fügten sich Puzzleteile zu einem Bild zusammen und halfen mir dabei, die damaligen Geschehnisse nachzuvollziehen und die Reaktionen besser zu verstehen.

Jeder Mensch hat seine eigene Art zu trauern. Dabei trauern 11jährige Mädchen anders als 40jährige Frauen. Natürlich war ich damals über den Verlust meines Lieblingsbruders sehr traurig, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich wirklich getrauert hätte. Vielleicht war mir das Trauern rein physiologisch auch gar nicht möglich?! Und als ich dann dazu in der Lage war – viele Jahre später – habe ich mir selbst keinen Raum mehr dafür gegeben und versucht, die Trauer zu verschweigen, zu ersticken und niemals zuzulassen.

Alles hat seine Zeit. Auch Trauer hat seine Zeit. Das, was mir damals nicht möglich war, muss ich vielleicht irgendwann nachholen? Vielleicht ist jetzt erst der richtige Zeitpunkt zum Trauern? Vielleicht weil ich jetzt jemanden an meiner Seite habe, der mich versteht, der mit mir in ohne schlechtes Gewissen in Erinnerungen schwelgt, der mit mir trauert und mit dem ich auch trauern darf. Jemand, der mir Halt gibt, so wie ich ihm Halt geben kann. Jemand, mit dem ich die Leere teilen kann und sie somit für uns beide erträglicher wird.

Thomas war jemand mit einer harten Schale und einem weichen Kern. Mit seiner offenen, freundlichen Art und seinem ehrlichen Lachen verstand er es, die Leute um sich zu scharen und zusammen zu bringen. Er hatte deshalb viele Freunde und unser Haus war nie leer. Auch nach seinem Tod versteht er es, Menschen zu vereinen. Er hat es geschafft, dass das, was Sofia und mich einst trennte, uns jetzt wieder vereint. Und vielleicht sollte es so sein, dass diese Vereinigung 29 Jahre auf sich warten ließ, eben weil sie jetzt erst das volle Ausmaß ihrer Wirkung zeigen kann.

Ich bin glücklich und dankbar dafür, dass Sofia wieder Teil meines Lebens geworden ist und ich wünsche mir sehr, dass sie dieses Mal länger als einen Wimpernschlag bleibt.

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Alte Heimat, neue Zweifel

Letztes Wochenende bin ich mit den Kindern nach Schleswig-Holstein gefahren, in das Dorf, das vor einem Jahr noch unser Zuhause war. Den Weg dorthin wusste ich auswendig und beim Passieren des Ortsschildes schlich sich sofort eine gewisse Vertrautheit ein.

Das Haus, in dem wir über 3 Jahre gewohnt haben, hat sich nicht verändert. Jetzt wohnt eine neue Familie dort, die an einigen Fenstern sogar noch unsere Gardinen hängen lassen haben. Bis auf wenige Sachen hat sich auch das Dorf nicht verändert. Es ist alles wie immer, nur ohne uns.

Die Kinder haben sich riesig auf die zwei Tage gefreut, weil sie endlich ihre alten Freunde wiedersehen und mit ihnen wie einst spielen konnten. Und auch ich freute mich sehr darauf, meine Freundinnen wiederzusehen, mit Ihnen viel zu lachen und zu quatschen. Die Zeit verging wie im Flug und alles war wie früher, als ob es das letzte Jahr nicht gegeben hat.

Als ich uns alle so glücklich und lachend gesehen habe, kamen die alten Zweifel in neuem Gewand um die Ecke und fragten mich: Warum hast du das aufgegeben?

Wir hatten Freunde, keine finanziellen Sorgen und vieles mehr… Das Teufelchen auf meiner rechten Schulter schoss sofort mit seinen vorwurfsvollen Fragen um sich: War es das alles wert? Warum konntet ihr nicht einfach so weiterleben? Was wäre wohl dann aus euch geworden? Wie hättet ihr jetzt gelebt?

Und dann kam die KO-Frage: Bist du jetzt glücklicher als damals?

Ich zuckte mit der Schulter und konnte kein klares JA formulieren. Das Engelchen erschien auf meiner linken Schulter und musste viel Redekunst leisten, um dem Teufelchen die Stirn bieten zu können – einig wurden sich die beiden nicht. Es blieb bei einem klaren Unentschieden und ich versuchte, eine passende Erklärung für mich zu finden.

Ich wäre nicht das, was ich jetzt bin, wenn es die letzten 12 Monate nicht gegeben hätte – das weiß ich mit Sicherheit. Es gibt viele Vorteile, die wir jetzt genießen können, aber auch Nachteile, die wir vorerst hinnehmen müssen. Statt ein klares JA zu äußern, würde ich diplomatisch sagen: „Ich bin anders glücklich. Bewusster. Innerlich ruhiger. Selbstbestimmter. Stärker. Werteorientierter. Mental Klarer. Öfter Lachend.“

Und ich hoffe, dass diese Art des Glücklichseins nachhaltiger ist als die, die ich früher gelebt habe. Es ist ok, wenn es an der einen oder anderen Stelle hakt. Aber ich habe endlich aufgehört, hinter dem hinterher zu hetzen, was mir durch andere Leute vorgelebt wird, es sei notwendig um glücklich zu sein. Alles hat seine Zeit und für manches ist jetzt eben nicht die Zeit.

Ich weiß, dass ich noch nicht am Ende meines Weges bin, aber ich vertraue darauf, dass alles gut wird. Jetzt kann ich das – vertrauensvoll und zuversichtlich in die Zukunft blicken. Das war mir vor 1,5 Jahren nicht möglich – ganz im Gegenteil sogar. Da war ich mitunter der Meinung, dass sich die Zukunft ohne meine Person viel besser gestalten lässt als mit ihr.

„Heute ist ein guter Tag um glücklich zu sein. Wenn´s bliebe, mir zuliebe. Wird auch langsam Zeit.“ (Max Raabe)

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Wie aus Pandoras Büchse eine funkelnde Spieluhr wurde

Seit fast 30 Jahren schleppe ich einen Rucksack mit mir rum. Anfangs war er noch sehr klein, aber er wuchs von Jahr zu Jahr und wurde stetig größer. Wenn ich jemanden begegne, ahnt er von diesem Rucksack nichts, er sieht ihn nicht mal ansatzweise, für mich ist er jedoch allgegenwärtig. An guten Tagen ist er leichter, an schlechten Tagen ist er so schwer, dass ich kaum laufen kann.  

Ähnlich der Büchse der Pandora enthält mein Rucksack größtenteils Trauer, Tod, Verlust, Schmerz und Wut. Deswegen habe ich bisher alles daran gesetzt, diesen Rucksack fest verschlossen zu halten – es durfte niemand reingucken und es sollte auch nichts zufällig daraus entwischen. Einzig allein aus der Hoffnung heraus, dass dieser verhasste Rucksack von sich aus kleiner wird und irgendwann vielleicht verschwindet, habe ich niemanden davon erzählt.

Und warum sollte ich auch davon erzählen? Die Themen Tod und Trauer sind nicht gesellschaftsfähig, sind kein typisches Gesprächsthema nachmittags beim Kaffee trinken und werden auch nicht gehypt wie die angesagtesten Influencer. Ganz im Gegenteil, diese Themen werden tabuisiert, aus dem alltäglichen Leben verbannt, mit dem Ziel, so wenig wie möglich darüber zu sprechen, zu lesen, zu hören und zu sehen. Frei nach der Devise: Sehe ich dich nicht, bist du nicht da!

Soll ich dir was sagen? Es hat nicht funktioniert. Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, aber es hat nicht geklappt, viele Jahre nicht. Indem ich diese Tabu-Themen ganz tief in mein Inneres vergraben habe, habe ich die Sache an sich nur noch schlimmer gemacht – der Rucksack wurde immer schwerer und die Angst, die Büchse zu öffnen, immer größer.

Nun nehme ich seit einiger Zeit an einen wöchentlichen Kurs teil, durch den ich am Ende die Möglichkeit habe, ehrenamtlich als Trauer- oder Sterbebegleiterin zur Verfügung zu stehen. Dieser Kurs und die Inhalte dieser Stunden haben mich von Anfang an gezwungen, mich mit dem Tod und der Trauer auseinanderzusetzen, in einer mir bisher unbekannten und ungewollten Intensität.

Für diesen Kurs habe ich mich ganz bewusst entschieden, weil ich etwas Gutes tun möchte und hoffentlich gleichzeitig meine größten Dämonen – Tod und Trauer – damit besiege, einfach weil ich mich ihnen stelle.

Soll ich dir was sagen? DAS funktioniert!

An dem letzten Samstag trafen sich alle Teilnehmer zu einer Tagesveranstaltung, die das Thema „Eigene Trauererfahrungen“ trug. Jeder sollte über seine persönliche Begegnung mit dem Tod berichten. Vor diesem Tag habe ich mich gefürchtet, weil ich mich ganz genau kenne und wusste, dass es ein Tag voller Emotionen und Tränen wird. Es kam wie es kommen musste. Mir liefen schon bei der ersten Geschichte die Tränen. Das hörte auch den ganzen Tag nicht mehr auf und fand seinen Höhepunkt als ich an der Reihe war, meine eigene Geschichte zu erzählen.

Ich erzählte, was passiert war – damals am 15. November 1994 – woran ich mich erinnern kann, wie ich mich gefühlt habe, was ich vermisst habe und wie dieser Tag bis heute meine Leben prägt. Ich konnte endlich die Worte loswerden, die ich bisher hinter verschlossenen Türen geheim gehalten habe. Diese Worte konnte ich endlich jemanden sagen, der neutral ist, der mich nicht mit tränengefüllten Augen anschaut und bei dem ich keine Angst haben muss, alte Wunden wieder aufzureißen. Der den Tod als Teil des Lebens betrachtet und ihm damit seine Macht nimmt, die er so viele Jahre auf mich ausgeübt hat.

Jetzt merke ich, wie mein Rucksack allmählich leichter wird, offen ist, für andere zugänglich und das eine oder andere Detail auch mal rausfallen darf.

Ich weine immer noch, wenn ich an meinen Bruder Thomas denke, der durch einen Autounfall ums Leben gekommen ist, aber ich habe einen besseren Weg gefunden, damit umzugehen. Ich vermisse ihn mehr denn je und es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an ihn denke. Doch die Erinnerungen, die ich an ihn habe – sein schneller Gang, sein aufrichtiges Lachen, seine verrückte Vorliebe für Cola mit Brötchen und die ungezwungene Art wie er mit mir als Schwester umgegangen ist, sind schöne und wertvolle Erinnerungen, die ich zulassen darf, jetzt in einer funkelnden Spieluhr aufbewahre, dort zum Leuchten bringe und nebenbei von seiner Lieblingsmusik begleitet werden. Die es verdient haben, gefeiert und mit anderen geteilt zu werden.

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Alles auf Anfang

Nun ist es wieder soweit…heute ist der 01. Januar und das Jahr 2023 beginnt. Ich mag den Januar überhaupt nicht, weil er der Anfang eines neuen Jahres ist, das erneut bewältigt werden muss und alles an Überraschungen bereithalten kann, was man nicht mal im Ansatz erahnt.

Beginnt ein neues Jahr fühle ich mich wie Sisyphos. Eine Figur aus der griechischen Mythologie, die von den Göttern die Strafe auferlegt bekommen hat, einen schweren Stein den Berg hochzurollen. Ist der Stein oben, rollt er jedoch wieder ins Tal und Sisyphos muss von vorne beginnen: Habe ich ein Jahr geschafft – mit all seinen Höhen und Tiefen – stehe ich wieder am Anfang und muss von neuem beginnen.

Dabei spielt es sicherlich auch eine Rolle wie das alte Jahr verlaufen ist. Stand es unter einem schlechten Stern, denke ich mir: „Endlich ist das alte Jahr vorbei! Ich freue mich auf das neue, denn es kann nur besser werden.“ Wenn ich aber an das Jahr 2022 denke, denke ich mir: „Schade, dass es vorbei ist, denn es war so schön.“

Letzte Nacht, während ich dem in den Himmel aufsteigende Feuerwerk zugesehen habe, habe ich die letzten 12 Monate nochmal vor meinem geistigen Auge abgespielt und überlegte dabei, was ich mit meiner Familie alles erlebt habe. Zusammenfassend kann ich sagen, dass es ein wirklich außergewöhnliches, aufregendes und emotional turbulentes Jahr war. Ein Jahr, durch das ich nicht nur wie sonst mit viel Arbeit und Stress durchgekommen bin, sondern ein Jahr, in dem ich die Momente wahrhaftig gelebt habe. Ich habe endlich Dinge gemacht, die ich schon immer machen wollte und das finde ich grandios:

  • Ich bin ausgewandert.
  • Ich habe meine eigene Homepage mit eigenem Blog ins Leben gerufen.
  • Ich habe mit Schreiben Geld verdient.
  • Ich wohne wieder in der Altmark.
  • Ich werde mich ehrenamtlich der Hospizarbeit widmen.
  • Zu unserer Familie gehören 2 Katzen.
  • Zu unserer Familie gehören 2 Hunde.
  • Zu meinem Geburtstag hatte ich eine Riesenparty, so wie ich sie wollte.

Ich weiß, dass sich so ein Jahr wie 2022 nicht wiederholen und 2023 ganz sicher ruhiger wird. Trotzdem will ich versuchen, mir den Geist des letzten Jahres zu bewahren und ihn als Begleiter für die bevorstehende Zeit bei mir zu behalten. Ich möchte mehr von den „Das-wollte-ich-schon-immer-mal-machen“ Dingen tun und weniger sagen: „Nein, jetzt passt es gerade nicht, ich warte bis…“ Ich möchte mehr gewollte, gelebte Momente und weniger pflichtgebundene To-Do-Listen.

Immer stärker wird mir vor Augen geführt, dass nichts unendlich ist und dass es Sachen gibt, für die es zu spät sein wird, wenn sie aufgeschoben werden. Also ist doch JETZT genau der richtige Zeitpunkt dafür.

2023 ist sicher weniger abwechslungsreich, muss aber nicht automatisch langweilig und stupide werden. Es hat die Chance verdient, genauso großartig zu werden wie 2022 – durch neue Möglichkeiten, andere Wege, wertvolle Momente und bemerkenswerte Menschen – eben auf seine eigene, ganz besondere Art und Weise.

Mit diesem Gefühl fällt es mir leichter, den Jahresbeginn erwartungsvoll und nicht frustrierend zu meistern und schaffe es dadurch vielleicht, den Stein für einen kurzen Augenblick am Runterrollen zu hindern.

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Die Leichtigkeit des Seins

Ja, mittlerweile ist unser Alltag gefüllt – gut gefüllt – manchmal überfüllt. Das Gute daran: Ich komme weniger zum Grübeln. Das Schlechte daran: Ich komme auch weniger zum Schreiben. Naja, Schreiben tu ich eigentlich den ganzen Tag, aber eben nicht für meinen Blog und das sieht man auch an meinen Einträgen. Der letzte Beitrag ist über 1 Monat her. Einerseits passiert nichts, worüber es sich lohnt zu schreiben und wenn denn mal was passiert, komme ich nicht dazu, einen Artikel darüber zu verfassen.

Die Leichtigkeit des Seins, die ich in Montenegro gespürt habe und am Anfang hier in der Altmark, ist nur noch blasse Erinnerung. Wie schön es doch war, keine Verpflichtungen zu haben – gegenüber einem Arbeitgeber, Ämtern oder sonstigen Leuten oder Institutionen. Geld war da – wir brauchten auch nicht viel und wir konnten uns den Tag so gestalten wie wir es wollten ohne Zeitpläne oder Termine einhalten zu müssen. Jetzt ist alles weg und der deutsche Alltag hat seine Krallen wieder ganz fest um uns geschlungen. Es geht darum, stetig und pünktlich abzuliefern – Zeit, Geld, Engagement, Zuverlässigkeit, Kreativität, … Ein „Nein!“, „Will ich nicht!“ oder „Warum?“ ist nicht gewollt… und zu ist der Käfig, der Hamsterkäfig, aus dem mich (auch gedanklich) zu befreien so lange gedauert hat! Es ist nicht mal ein goldener Käfig, im Moment ist es nur ein kalter Käfig, denn ich friere jeden Tag.

Highlights? In einem langweiligen Alltag werden Kleinigkeiten zu Highlights. Wie z. B. die Vorbereitungen auf meinen 40. Geburtstag, der in 20 Tagen stattfindet. Geplant ist eine große Party, die ich mir schon immer gewünscht habe. Und die hoffentlich noch besser wird als ich sie mir jetzt gerade vorstelle.

Hajdi und Toni im November 2022

Wir haben seit 4 Wochen zwei Hundedamen, die uns aus Montenegro gebracht wurden. Antonia und Hajdi gehörten bis vor kurzem zu dem Haus in der Nähe von Kotor, auf das wir im April aufgepasst hatten. Wir hatten uns sofort in die beiden verliebt und jetzt sind sie Teil unserer Familie. Sie „zwingen“ uns, jeden Tag mindestens zweimal mit ihnen rauszugehen und das macht das grässliche Regenwetter für mich irgendwie erträglich.  

Blacky und Schnurrekater im Katzennest_Okt 22

Unsere beiden Katzen sind auch immer noch da und wachsen, werden größer und dicker. Das sind solche Schmusekatzen, dass man sie einfach liebhaben muss. Und sie freuen sich, wenn ich da bin, suchen die Nähe zu mir, weil sie wissen, dass sie immer ein paar Streicheleinheiten bekommen, wenn ich mir Zeit für sie nehme.

Die Leichtigkeit des Seins…

…wiegt im Moment sehr schwer und landet in einer Waagschale mit meinen Gedanken.

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Freund oder Feind?

Jeder Mensch ist davon betroffen, in seinem Leben Unmengen von Entscheidungen treffen zu müssen. Die kleineren davon, die eher unbedarften, treffen wir spontan und aus dem Bauch heraus – Welche Pizza möchte ich jetzt essen? Welche Hose ziehe ich heute an? Schmeckt mir die Schokolade oder nicht?

Dann gibt es die Entscheidungen, die eine Stufe relevanter sind. Dafür wäre eine Pro-Contra-Liste ganz nützlich – Wann sollte ich mir ein neues Auto kaufen? Wäre ein Arbeitsplatzwechsel jetzt ratsam?

Aber dann gibt es da auch noch die wirklich, wirklich wichtigen Entscheidungen. Diese Art der Entscheidungen wird weder aus dem Bauch heraus, noch mit Hilfe einer Pro-Contra-Liste getroffen. Diese Art der Entscheidungen wird meistens mit dem Herzen getroffen. Die Tragweite dieser Entscheidungen erkennt man daran, dass man ihre Konsequenzen das ganze Leben lang spürt. Meistens sind diese Entscheidungen auch so gravierend, dass nicht nur der Entscheider selbst die Konsequenzen trägt, sondern auch viele Menschen in seinem Umfeld mit, ganz automatisch, ohne dass sie informiert wurden und ohne, dass sie vorher vor einer Wahl gestellt wurden.  

In meinem Freundeskreis befindet sich ein Pärchen, das für mich ein Paradebeispiel dafür ist, welch enorm große Konsequenzen eine einzige Entscheidung haben kann. Zwei sich liebende Menschen wurden vor vielen Monaten gezwungenermaßen vor einer Wahl gestellt. Sie hatten zwei Möglichkeiten zur Auswahl. Um für sich den richtigen Weg zu finden, haben sie sich viel Zeit genommen. Die endgültige Entscheidung haben sie zusammen getroffen und sie haben sie mit ihrem Herzen getroffen. Sie haben sich voller Hoffnung für das Leben entschieden, ohne auch nur im Ansatz zu erahnen, was es bedeuten würde, wenn der worst case eintreffen sollte.

Leider ist der worst case eingetroffen und hat das komplette Leben der beiden umgekrempelt. Angetrieben von ihrer Liebe geben diese beiden Menschen seit vielen Monaten alles, was sie haben – ihre Zeit, ihre Energie und ihre gesamte psychische und physische Kraft – jeden Tag, den ganzen Tag. Sie gehen dabei bis an ihre Grenzen. Und sollte der Tag kommen, an dem ihre Mühen ein Ende finden, wird ihr Leben nie wieder so sein, wie es vor der Entscheidung mal war. Für das Danach gibt es zwei mögliche Szenarien – entweder sie gehen daraus gestärkt hervor oder sie gehen daran kaputt.

Die Geschichte meiner beiden Freunde berührt mich so stark, dass es mir schwer fällt, meine Gefühle in Worte zu fassen. Das, was die beiden jeden Tag leisten, verdient höchsten Respekt und ich kann mir nicht mal ansatzweise vorstellen, in dieser Situation die gleiche Stärke aufzubringen wie sie.

Für mich persönlich nehme ich aber zwei Sachen mit:

1. Sollte ich in der Zukunft vor Entscheidungen mit der höchsten Wichtigkeit gestellt werden, werde ich mir mehr Zeit nehmen um eine Wahl zu treffen. Ich werde mir mögliche Konsequenzen ableiten und mir gleichzeitig überlegen, ob ich genug Kraft habe, diese Konsequenzen bewältigen zu können.

2. Ich stelle mir die Fragen: Ist das Herz bei gravierenden Entscheidungen immer ein verlässlicher Partner? Ist es dann Freund oder Feind?

Auf mein Leben zurückblickend stelle ich fest, dass mein Herz doch einen sehr großen Einfluss bei der Wahl meiner Entscheidungen hatte und in mir meistens einen starken Antrieb bewirkte. War das jetzt gut oder schlecht? Wie würde mein Leben aussehen, wenn ich meine gefühlsgelenkten Entscheidungen rational getroffen hätte?

Ich wäre jetzt nicht hier – so viel ist sicher!

Was passiert ist, ist passiert und kann ich nicht mehr ändern aber Fakt ist doch eins: Jede Entscheidung, die ich in meinem Leben getroffen habe, hat mich dort hingeführt, wo ich jetzt bin. Für den entsprechenden Augenblick schien die Entscheidung richtig – vielleicht nicht immer zu 100% durchdacht, manchmal vielleicht auch zu spontan, aber für den Moment schien alles plausibel. Und auch wenn ich manche Dinge im Nachhinein anders gemacht hätte, stehe ich doch zu und hinter meinen Entscheidungen und kann ihnen nur für meine Zukunft die Wichtigkeit einräumen, die sie sich aus der Vergangenheit verdient haben.

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Selbstzweifel?

Ja klar habe ich Selbstzweifel!

Anfang Januar, als ich wir uns dazu entschlossen haben, Deutschland zu verlassen, war unser Vorhaben reine Theorie. Alle unsere Pläne und To-Do-Listen entstanden in unseren Köpfen. Als wir die ersten Kündigungen einreichten, hätte es noch ein Zurück geben können. Und auch als die ersten Möbel aus unserem gemieteten Haus verschwanden oder wir die ersten Altkleider-Säcke wegbrachten, hätten wir alles wieder rückgängig machen können. Denn ehrlich gesagt, war diese Entrümpelung schon längst überfällig und hat uns im Grunde nichts ausgemacht. Das wirklich wichtige war ja immer noch da – Geschirr, Lieblingsklamotten, Betten, … Erst als unser Kleiderschrank abgeholt wurde, erst ab diesem Zeitpunkt fing etwas an, sich in meinem Kopf zu verändern. Erst da fing es an, dass mir das Ausmaß unseres Entschlusses so langsam bewusst wurde.

So nach und nach stehen jetzt immer mehr Dinge vor ihrer Entscheidung „weg, mitnehmen oder einlagern?“. Und während ich die einzelnen Sachen zu Ihrer vorgesehenen Endstation (Kiste oder Tonne) befördere, denke ich „Ist das alles so richtig, was wir machen?“ Wenn ich dann ins Grübeln komme und weiterdenke, frage ich mich auch „Ist der Preis, den du jetzt für deine Selbstverwirklichung zahlst, nicht am Ende zu hoch?“, „Ist es das am Ende wert?“ und warum kannst du nicht wie andere sein, die ihr Leben lang oder zumindest viele Jahre am selben Ort wohnen, die gleiche Arbeit ausüben und rund um zufrieden sind, mit dem was sie haben und mit der Art und Weise wie es läuft.

Was mache ich jetzt mit meinen Selbstzweifeln?

Carrie Bradshaw hat einmal in einer Folge von „Sex and the City“ gesagt: „Wenn ich Geister sehe, akzeptiere ich sie, dann verschwinden sie und ich kann weiter machen wie gewohnt.“ Also wenn die Selbstzweifel meine Geister sind, kann ich es vielleicht genauso handhaben.

Die Selbstzweifel sind da, ich akzeptiere sie und warte bis sie verschwinden. Danach mache ich weiter.

Und ja, ich mache einfach weiter, denn ich weiß ja was dahintersteckt und wofür ich bzw. wir es machen, auch wenn ich mir manchmal unsere gesamten Gründe nochmal ins Gedächtnis rufen muss. Und ich hoffe einfach darauf, dass diese Reise ein weiterer Punkt in meinem Leben wird, von dem ich sage: „Wenn ich nochmal die Wahl hätte, ich würde es wieder genauso tun!“.

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Ist Blut wirklich dicker als Wasser?

Als ich ein kleines Kind war, wünschte ich mir immer eine große Schwester. Stattdessen wurde ich mit zwei älteren Brüdern gesegnet, die jede Gelegenheit nutzten, um mich zu ärgern, weil sie – erstens – zu zweit und älter waren und ich – zweitens – noch zu klein war, um mich zu wehren. Ich beneidete die Mädchen, die eine Schwester hatten, weil ich das Gefühl hatte, dass zwischen ihnen eine Beziehung bestand, die sie auf eine ganz besondere Weise miteinander verband.

Durch den Verlust meines nächstälteren Bruders blieb mir nur noch ein Bruder übrig. Entgegen meiner Hoffnungen schweißte uns das nicht enger zusammen, sondern das ganze Gegenteil trat ein. Die Tatsache, dass in unserer Mitte jemand fehlte, entzweite uns zusätzlich, schleichend und unaufhaltsam. Unser Bindeglied, was unsere Verbindung zueinander bisher aufrechterhielt, war nicht mehr da. Immer mehr wuchs ich in dem Gefühl auf, ein Einzelkind zu sein, was mich in meiner physischen Entwicklung nicht negativ beeinflusste, doch mir die Verbundenheit vorenthielt, die Geschwister oft auf irgendeine Art und Weise spüren.

In dieser Zeit trat ein Mensch in mein Leben, den ich anfangs als flüchtige Bekanntschaft, später als Freundin und schon längst als beste Freundin bezeichnen würde. Wir kennen uns schon so lange, dass sie für mich wie eine Schwester ist und ich mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen könnte. Die meiste Zeit davon waren wir räumlich weit voneinander entfernt und trotzdem haben wir uns gesehen, so oft es uns möglich war. Jeder von uns hat den anderen mit seinen Höhen und Tiefen erlebt und unterstützt, sobald Hilfe nötig war. Meinungsverschiedenheiten, die in einer guten Freundschaft sowohl erlaubt als auch gewollt sind, haben bei uns zu einem verständnisvolleren Umgang geführt und uns besser wissen lassen wie der andere tickt.

Durch unsere langjährige Freundschaft und die Erlebnisse des letzten Jahres haben sich meine Erwartungen an eine beste Freundin grundlegend geändert. Es ist mir nicht wichtig, ob beste Freundinnen jede freie Minute miteinander verbringen oder immer einer Meinung sind oder sich gegenseitig teure Geschenke machen. Vielmehr ist es doch ausschlaggebend für eine gute Freundschaft, ob ich mich wohl und verstanden fühle, dass ich so akzeptiert werde wie ich bin und sie mir die Sicherheit gibt, dass immer jemand für mich da ist. Gerade jetzt, wo meine Tage in Deutschland gezählt sind, wird mir bewusst wie wichtig sie für mich ist und dass unsere Freundschaft nicht selbstverständlich ist. Diese Gefühle – Glück, Verbundenheit, Freude und Zuneigung – die sich in mir wohlig warm ausbreiten, wenn wir zusammen sind, können mir kein Bruder der Welt geben.